Freitag, 3. April 2020

Risikoabwägung

"An den Folgen von Gewalt und Misshandlung sterben jede Woche drei Kinder unter 14 Jahren." (sieh unten: ZEIT, S.27)
Das gilt für die Normalsituation in Deutschland. Was aber gilt, wenn kranke, langzeitarbeitlose Eltern auf engstem Raum mit ihren Kindern auskommen müssen?
In der Situation nehmen die Notrufe von Frauen enorm zu, die sich der Gewalt ihrer frustrierten Ehemänner ausgesetzt sehen. Was erleben Säuglinge und Kleinkinder in solchen Situationen? 

Dazu die ZEIT:
"Dürfen die Kleinsten einer Gefahr ausgesetzt werden, um andere, Ältere und Risikopatienten, zu schonen? Diese Frage wurde vernachlässigt, als die Kitas bundesweit schließen mussten. Es ging um den Schutzanspruch eines ganzen Landes, um die Furcht vor einem Erreger, aber vor allem auch um die Angst der Politiker, Fehler zu machen. Die Maßnahmen waren wichtig – bis ins Detail überlegt waren sie nicht. Sonst hätte spätestens bei Familien, die bereits unter Beobachtung des Jugendamtes stehen, auffallen müssen, dass sie nicht von heute auf morgen ohne Hilfe für ihre Kinder sorgen können. Dass man langzeitarbeitslose und kranke Eltern extremer Überforderung aussetzt, wenn man ihnen über Wochen die Betreuung ihrer auf engem Wohnraum gefangenen Kinder allein überlässt. Es hätte auffallen müssen, dass der Schutz der Jüngsten in einer abgeschotteten Gesellschaft nicht mehr gewährleistet ist.
Manchen fiel es ja auch auf.
In Dortmund hat man 75 Mädchen und Jungen aus desolaten Lebensverhältnissen in die Notbetreuung der Kitas integriert und sich so hinweggesetzt über das Gebot, die Plätze nur für den Nachwuchs von Eltern aus systemrelevanten Berufen zu öffnen. Auch die Stadt Recklinghausen hat kurzzeitig besonders schutzbedürftige Kinder aufgenommen, denn die Kitas sind leer, und oft erscheinen in den Notgruppen nur ein bis zwei Kinder. Das Landesjugendamt untersagte es dann aber, dass diese Kinder während der Krise weiter betreut werden. Der Infektionsschutz gehe vor. Bis hinauf zum Minister haben die fassungslosen Verantwortlichen den Streit getragen. Denn was, wenn Kinder nun zu Hause geprügelt werden, weil man den Eltern keine Entlastung verschaffen konnte? Und wer trägt die Verantwortung, wenn nach der Krise unzählige Kinder in Obhut genommen werden müssen?" (ZEIT 15/2020 "Die Unsichtbaren", S27/28)

Die Intensivstationen müssen vor der Überlastung durch das Zusammentreffen von Grippe- und COVID19-Epidemie geschützt werden. Überforderte Familien aber auch.

Was Kinder brauchen, wurde auf Twitter so formuliert:
"Sie brauchen andere, gleichaltrige Kinder, Spielplatz, frische Luft, ihren gewohnten Alltag, ihre Freunde, ihre anderen Bezugspersonen und mehr als 20m² kindgerechtes Spielparadies."
Natürlich sollten sie das haben können, auch wenn unsere Gesellschaft es kranken und Kindern unter der Armutsschwelle nicht zu bieten bereit ist.
Aber Schutz vor Misshandlung und ein Mindestmaß an Zuwendung sollten wir ihnen auch in einer Krise nicht vorenthalten.
Wenn in Kitas eine Notbetreuung für Kinder von Eltern mit systemrelevanten Arbeitsstellen organisiert werden kann, dann sollte sie auch Kindern geboten werden, die in größter Gefahr stehen, misshandelt zu werden.

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