[...] Man sieht daran, dass es unklug ist, in unsicheren Zeiten, in denen Misstrauen gegen das Regierungshandeln blüht, dieses sogleich als irrational abzutun. Es ist sogar besonders fatal, weil genau dies die Praxis von Diktaturen oder allgemein korrupten Regierungen war – nämlich ihre Gegner als Wirrköpfe, wenn nicht Paranoiker zu bezeichnen. Galt nicht auch der KPdSU jeder, der an der "wissenschaftlichen Weltanschauung" des Marxismus-Leninismus zweifelte, als verrückt? Und wie war das mit der CIA, der man alle möglichen dunklen Machenschaften in Lateinamerika andichtete, bis sich herausstellte, dass es sich gar nicht um Dichtung, sondern um tatsächliche Beteiligung an den meisten Staatsstreichen rechtsgerichteter Militärs handelte?
Das heißt, dass manches, was lange als Verschwörungstheorie galt, tatsächlich nur allzu lange im Status einer Hypothese verharrte – weil die Möglichkeit zur Überprüfung (zur Akteneinsicht) fehlte. Die Wahrheitsfrage ist, anders als man meinen möchte, deshalb gar nicht so unerheblich für die Entscheidung, ob ein Verdacht berechtigt oder nur wahnhafte Konstruktion ist. Im Übrigen immunisieren sich auch keineswegs alle wirklich verrückten Verschwörungstheorien durch ihre logische Struktur gegen eine Überprüfung. Viele enthalten Tatsachenbehauptungen, die als Irrtum oder Lüge schon enttarnt wurden, ohne dass dies allerdings ihre Anhänger irritiert hätte. Empirisch sehr wohl (und leicht) widerlegbar ist zum Beispiel die aktuell umlaufende Wahnidee, Bill Gates benutze die Corona-Epidemie, um die Weltherrschaft zu erringen und eugenische Maßnahmen in der Nachfolge von Nazis zu ergreifen, die in den USA überlebt haben sollen. Unerreichbarkeit für rationale Einwände ist hier keine Eigenschaft der Theorie, sondern eine Eigenschaft der Menschen, die an sie glauben wollen [...]"
https://www.zeit.de/2020/34/verschwoerungstheorien-coronavirus-wissenschaft-hypothese
Treffende Überlegungen, so lange er sich im politischen Bereich bewegt. Sobald in sich auf das Feld der Falsifizierung von Hypothesen begibt, greift Jens Jessen leider voll daneben.
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