"[...] Die Kränkung der alten Mittelklasse durch die Arroganz der neuen Mittelklasse, die medial so gerne verbreitet wird, ist eher ein Folgeproblem. Denn die eigentliche Verunsicherung in der traditionellen Mittelklasse betrifft ja ihre eigene Lebenssituation: Man hat sich hier lange mit dem Modell des sozialen Aufstiegs, der für alle erreichbar sei, identifiziert. In den 1950er- bis 1970er-Jahren funktionierte das auch. Nun aber stockt dieser Prozess: Mit mittleren Bildungsabschlüssen kann man nicht mehr aufsteigen, der industrielle Sektor bricht weg und mit ihm die einmal stolze Arbeiterkultur, die ländlichen Regionen scheinen teilweise abgehängt zu sein. Das Ergebnis sind Anerkennungs- und Identitätsprobleme. Das Aufstiegs- und Fortschritts- und Immer-mehr-Versprechen erscheint immer weniger realistisch. Die Vorstellung, dass Fortschritt immer nur Gewinne bedeutet, hat sich diskreditiert. Es verbreiten sich Verlusterfahrungen.[...]
Während in der industriellen Moderne ein Naturverständnis herrschte, in der die Natur als Ressource erschien, die unendlich vorhanden ist und die der Mensch beherrschen und ausbeuten kann, hat sich seit den 1970er-Jahren eine Sensibilität für ökologische Zusammenhänge entwickelt: Die Natur wird als etwas entdeckt, womit es eine Balance zu halten gilt, das am Ende gar zurückschlägt. [...] Die erhöhte Sensibilität führt gegenwärtig jedenfalls dazu, dass die Ökologie kein Nischenthema mehr ist, sondern dass sie – auch mit neuen Werten wie dem der Biodiversität – immer mehr ins Zentrum rückt. Damit werden die Grenzen der klassischen Fortschrittsvorstellung einmal mehr sehr deutlich. [...]" (ZEIT 12.8.20)
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