Günter Gaus im Gespräch mit Angela Merkel (1991)
"Günter
Gaus: Ich
frage nicht, ob Sie für Bundeskanzler Kohl als Stellvertreterin im
Parteivorsitz bequem sein werden, ich frage, ob Aufmüpfigkeit als
solche, ob Widerspruchsgeist, und sei es als Beigabe von
Jugendlichkeit, nach Ihrer Selbsteinschätzung ein wichtiger oder ein
geringerer Teil ihres Wesens ist.Merkel: Widerspruchsgeist ist, glaube ich, nicht Hauptteil meines Wesens, aber mit zunehmendem Alter erlerne ich ihn besser. Ich habe da vielleicht einen gegenläufigen Lebenslauf. Ich war, glaube ich, mit 15 Jahren weniger zum Widerspruch fähig als heute. Aber ich halte ihn für außerordentlich wichtig in der Politik, die Fähigkeit zum Widerspruch ... [Gaus] Und sie lernen ihn? ... [Merkel] Ja ... Mal ein bisschen albern und überspitzt gesagt: es kann sein, in fünf Jahren sind sie für Kohl nicht mehr so bequem wie jetzt? ... Das kann man nicht ausschließen, das kann ich aber auch nicht voraussagen. Ich lerne nur, auch aus selbstbewusstem Auftreten meiner Kollegen, daß Widerspruchsgeist unbedingt notwendig ist zum Überleben [...]
Merkel: Nein, ich war mir - das mag jetzt komisch klingen – eigentlich immer bewußt, daß ich nach einem möglichen Zusammenbruch der DDR oder im Umbruch, also unter westlichen Verhältnissen, wahrscheinlich nicht mehr in der Grundlagenforschung würde arbeiten können. Ich habe gerne Physik gemacht. Aber ich habe nicht so gerne Physik gemacht, daß ich auf alle Beigaben des Lebens sonst noch verzichtet hätte. Und das muss man, wenn man in der Forschung ist, doch zu weiten Teilen tun. Bei meiner politische Betätigung – das hätte aber genauso gut als Lehrerin oder in mehr Arbeit mit Menschen auf anderen Gebiet passieren können – macht mir nichts aus, viele Stunden zu arbeiten, und weil ich da ein gewisses Kommunikationsbedürfnis befriedigen kann. Ich bin eigentlich der Meinung, daß ich auf einem anderen Gebiet eine Arbeit gefunden hätte, wenn ich nicht politisch tätig wäre, und ich bin auch der Meinung, wenn meine politische Tätigkeit abrupt enden würde, daß mir wieder etwas einfallen würde, was ich tun könnte."
(Günter Gaus: Neue Porträts in Frage und Antwort. Günter Gaus im Gespräch 1992, S. 173/74)
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