Jefferson reist just zu einer Zeit, da das alte deutsche Reich im Fokus einer der wichtigsten öffentlichen Debatten der Vereinigten Staaten steht. Seit Oktober 1787 läuft der Ratifizierungsprozess für die neue Verfassung. Sie ist nötig geworden, da sich herausgestellt hat, dass dieser Staatenbund, der sich als eher lose Konföderation souveräner Einzelstaaten versteht, nur selten wirklich weitreichende Entscheidungen treffen kann. [...]
Verblüfft zeigt sich Jefferson, der selber seit sechs Jahren Witwer ist, darüber, dass die Winzer und Bauern in Deutschland ihre Ehefrauen die schwersten Arbeiten verrichten lassen: Sie »graben den Boden um, pflügen, sägen, hauen und hacken Holz«. Diese völlig gleichberechtigte Einbeziehung in die alltägliche Arbeitswelt der Männer stört ausgerechnet jenen Mann, der in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung feierlich postuliert hat, »dass alle Menschen gleich erschaffen wurden« – und der zugleich auf Monticello Schwarze als Sklaven hielt, die für ihn schuften mussten und die er auch, wie erst jüngst aufgetauchte Dokumente verraten, nicht sonderlich rücksichtsvoll behandelt hat.
Die Landschaft entzückt ihn. Der Gebirgszug des Taunus bei Schwalbach erscheint ihm so malerisch »wie einige Abschnitte der Alpen«. Und blickt er von den bergigen Höhen bei Wiesbaden auf die Rheinebene hinab, ist es ihm, als sehe er »eine der schönsten Szenerien der Welt«. [...]
In Heidelberg ist es dann eine ganz und gar authentische Ruine, die Jefferson begeistert. Das imposante Renaissanceschloss, das 1693 im Pfälzischen Erbfolgekrieg von den Franzosen weitgehend zerstört wurde, erscheint ihm als die »großartigste Ruine« seit der Antike. An eine englische Freundin – die Malerin Maria Cosway – schreibt er enthusiastisch, das Heidelberger Schloss sei sogar noch schöner als die Pyramiden von Ägypten, da es, eingerahmt von Fluss und Bergen, »majestätischer und besser eingekleidet« sei als die pharaonischen Riesengräber im Wüstensand. [...]Als Thomas Jefferson Ende April wieder in Paris eintrifft, versucht er eine politische Bilanz. Seine Gedanken vertraut er George Washington an, dem Helden des Unabhängigkeitskrieges, dem kommenden Präsidenten. Am 2. Mai 1788 schreibt ihm Jefferson, dass er nun verstehe, wie sehr »die Freiheiten des deutschen Staatskörpers« – also die Souveränität seiner einzelnen Glieder bei ihrer gleichzeitigen Unterordnung unter den Kaiser als Bundesoberhaupt – durch das föderale System gewährleistet werde, trotz der darin auch enthaltenen Mängel, die dringend einer demokratischen Reform unterzogen werden müssten. Denn alles Gute innerhalb dieser grundsätzlich freiheitlichen Ordnung entspringe den »zarten Fasern des Republikanismus, der darin auch existiert«."
(Deutschlandreise: Ein Kaiser für Amerika Von Jürgen Overhoff ZEIT Nr.45/2012, 31.10.12, S.20 )
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