Freitag, 19. April 2019

Flucht aus dem Zug ins Vernichtungslager

764 Sprünge in die Freiheit  Spiegel online 14.3.2014
"Jeder kennt die Bilder der Waggons, mit denen Juden in Konzentrationslager transportiert wurden. Dass Hunderten die Flucht aus den Todeszügen gelang, ist kaum bekannt. Nun dokumentiert eine Studie die Ausbrüche und liefert Erklärungen, warum die Geflüchteten jahrzehntelang schwiegen."
"[...] Das lange Schweigen der Überlebenden
So wurde wenig bekannt über die oft gnadenlosen Bewacher. Aber auch viele der Geflohenen schwiegen nach dem Krieg. Manche, weil sie von anderen KZ-Überlebenden nicht als gleichwertig respektiert wurden - schließlich hatten sie den Horror in den Vernichtungslagern nicht erlebt. Andere aus Schuldgefühlen, weil sie geflohen waren. Die Belgierin Claire Prowizur etwa hatte ihren todkranken Vater im Waggon zurückgelassen. Erst Jahrzehnte später erfuhr sie zufällig, dass er noch einmal im Waggon das Bewusstsein erlangt hatte - und überglücklich war, dass seine Tochter geflohen war.
Auch Simon Gronowski schwieg fast sechs Jahrzehnte. Seine Mutter und Schwester wurden in Auschwitz ermordet, sein Vater zerbrach daran und starb kurz nach dem Krieg. Gronowski wollte nach vorne blicken, wurde Anwalt, spielte Klavier, begeisterte sich für Jazz und redete kaum über den Krieg.
Doch die Vergangenheit ließ ihn nicht los. Er musste an den belgischen Polizisten denken, der ihm damals womöglich das Leben rettete. Fühlte sich verpflichtet, gegen den immer noch grassierenden Antisemitismus vorzugehen. Also begann er 2002, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben und Vorträge zu halten.
Sechs Wunder
"Mein Leben besteht nur aus Wundern", sagt der 82-Jährige mit kraftvoller Stimme. Der Sprung aus dem Todeszug. Der Krebs, den er besiegte. Die lebenslange Freundschaft zu dem Sohn eines flämischen Nazis. Das späte Treffen mit einem Wachmann, der ihn einst mit vorgehaltener Waffe zum Zug geführt hatte: Die beiden alten Männer trafen sich, der Wachmann bat aufrichtig um Verzeihung, dann fielen sich beide weinend in die Arme. [...]"

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