Samstag, 13. April 2019

In den Neunzigern war „Das Kapital“ eigentlich sehr viel relevanter als in den Siebzigern

David Harvey: Kapitalisten mögen keinen Wettbewerb

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Denn in den Neunzigern war „Das Kapital“ eigentlich sehr viel relevanter als in den Siebzigern. Die wenigen Studenten, die zunächst nur aus bloßer Neugier zu den Veranstaltungen kamen, waren regelmäßig erstaunt, wie aktuell der Text tatsächlich war. 
In den letzten Jahren haben marxistisch inspirierte Theorien wieder verstärkt Konjunktur, Denker wie Slavoj Žižek oder Alain Badiou genießen gar globalen Popstar-Status. Wo würden Sie Ihre Arbeit im Kontext dieser zeitgenössischen Ansätze einordnen? 
Meine Arbeit besitzt zwei wesentliche Merkmale, die sie von den Theorien Žižeks und Badious unterscheidet. Zum einen orientierte ich mich vor allem an Marx’ politischer Ökonomie, weniger am Marxismus als Ganzem. Zum anderen strebt meine Interpretation der politischen Ökonomie an, konkrete Urbanisierungsprozesse, ungleiche geografische Entwicklungen und die Dynamiken der Kapitalakkumulation in Bezug auf die Produktion von Raum, Ort und Umwelt zu verstehen. Das, was ich mache, ist also einerseits von der Weiterentwicklung einer bereits existierenden Theorie geprägt, bezieht sich andererseits aber auch auf die Transformationsprozesse in unserem alltäglichen Leben. 
Ein wesentlicher Faktor für die philosophische Renaissance des Marxismus war die Finanzkrise von 2007/2008, die im Kern eine Krise der Immobilien-Hypotheken war. Welche Rolle spielen Hypotheken für den heutigen Kapitalismus? 
Eine Hypothek ist zunächst eine Art der Vorwegnahme der Zukunft in der Gegenwart. Sie schränkt damit eigene Möglichkeiten ein, da man mit ihrer Rückzahlung beschäftigt ist. Oder wie es in einem Sprichwort aus den Dreißigern heißt: „Verschuldete Hausbesitzer streiken nicht.“ Schon seit sehr langer Zeit hat denn auch die kapitalistische Klasse erkannt, dass Wohneigentum ein wirksamer Schutz gegen Unruhen und Revolutionen ist. Gewiss, Immobilien können ein positiver sozialer Stabilisator sein. Zugleich sind sie aber auch eine Verbindlichkeit, die Menschen an die Kette legt. Ähnliches sehen wir in den USA im Rahmen der Studienkredite. Hoch verschuldete Studenten müssen derzeit extrem schuften, um ihre Verbindlichkeiten zu bedienen.Deshalb wollen sie ihre Jobs nicht in Gefahr bringen. Sie gehen keine Risiken mehr ein, weil sie es sich buchstäblich nicht leisten können. Nun ist es aber so: Wenn junge Menschen keine Risiken mehr eingehen, hat selbst der Kapitalismus ein Riesenproblem. Viele Leute beginnen zu erkennen, dass das eine riesige Last für die Zukunft ist. [...]

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