Donnerstag, 25. April 2019

Martin Lindner über lernende Organisationen

Martin Lindner hat den Entwurf seines Buches "Die Bildung und das Netz" bereits in der Wikiversity vorgestellt. Hier folgen Auszüge aus dem 30. Kapitel, die ich bei der Lektüre angefertigt und mit einigen Links versehen habe.

"Lernen wird erst dann zum besonderen Problem, wenn Probleme auftreten. Das war den in den 1990er Jahren der Fall. [...] 1996 rief die EU das europäische Jahr für lebenslanges Lernen aus. Die OECD veröffentlichte das Konzeptpapier Livelong Learning for All, das erstmals direkt an die Einzelnen appellierte.
Seitdem wird jede/r für das eigene Lernen selbst verantwortlich gemacht. [...]
In diesen Jahren benannte man die alte bürokratische Personalabteilung um, die im wesentlichen die Mitarbeiterakten verwaltet hatte. Sie heißt seither Personalentwicklung, weil sie das wertvolle Humankapital , die Ressource Mensch, bewahren und vermehren soll. Man sprach auch viel von Firmenkulturen. Das war schon irgendwie ernst gemeint, wirkte aber trotzdem doppelzüngig, weil ja genau zu dieser Zeit die Organisationen auf schlanke Effizienz und Shareholder Value getrimmt wurden. In der Praxis war es eine Hauptaufgabe der Personalentwickler, Leute auf möglichst humane Art zu entlassen  -"freizusetzen", wie man das nannte. Sie kamen dann in Übergangsorganisationen, wo sich Leute über 45 für einen  Arbeitsmarkt weiterbilden sollen, der an den Älteren trotz aller Fachkräftemangel-Jammereien kein Interesse hatte und hat. [...]

Corporate University [...]
"Selbst in Hightech-Unternehmen ist menschliches Lernen und Wissen am Ende messy – unordentlich, vermischt, kontextabhängig und in komplexe Kommunikationsprozesse eingebunden. Man muss sich das wie eine Art Ökosystem vorstellen, nicht als Apparat – Intelligenz plus Learning Analytics."

Das Wiki-Unternehmen Synaxon

"Unternehmensinformationen wurden mit Media Wiki, der Wikipedia Software ins Netz gestellt. Das Intranet wurde zum Extranet, dass von Welt Netz nur durch eine Passwortschranke getrennt ist. Alle anderen Systeme wurden abgeschaltet. Seitdem kann jeder/r alles ändern, auch sensible Geschäftsprozesse und Entscheidungen mit Folgen für das Budget. Roebers berichtet gern vom Fall einer Werkstudentin, die durch einen eigenmächtig veränderten Einkaufsprozess dem Unternehmen eine sechsstellige Summe einsparte, als Ihr Vorgesetzter im Urlaub war. Die Geschäftsführung beobachtet laufende Änderungen an besonders kritischen Stellen. Im Extremfall hat sie ein Vetorecht, aber dieses Veto wurde noch nie gebraucht
Synaxon ist zu einem Unternehmen geworden, das sich weitgehend selbst organisiert. Man ist so schneller, effizienter und flexibler geworden.[...]
Diese Idee von Führung besteht darin, herkömmliche Führung abzuschaffen.
In der Folge hat dass Wiki-Unternehmen Synaxon noch weitere kollaborative Netz-Software eingeführt, um die Kollaboration und den Informationsfluss weiter zu verbessern. Es gibt Instant Messaging (direkte Chat-Verbindungen), Yammer (eine Art Twitter für Unternehmen, dass auch E-Mails ersetzen soll) und ein Firmen-Blog. Der Erfolg gibt Roeber Recht: der Mitarbeiterstamm ist seit der Wiki-Wende ungefähr konstant geblieben, aber man erledigt ein Viertel mehr an Aufgaben – ohne dabei mehr zu arbeiten.
Die radikale Wiki-Strategie von Synaxon ist eine Ausnahme geblieben. [...]


Der lange Weg zum Selbstlernen [...]
Die real existierende Software, die größere Unternehmen für Weiterbildung und Talentmanagement einsetzen, ist sehr weit davon entfernt, ein umfassendes und selbstbestimmtes Lernen der MitarbeiterrInnen zu unterstützen.
Mittelfristig wird sich das Problem wohl dadurch erübrigen, dass sich wie bei Synaxon die gesonderten Abteilungen für Weiterbildung und Personalentwicklung allmählich auflösen. Kurze, intensive Drillphasen, in denen es um ganz kurzfristig benötigte Skills geht, wird es weiterhin geben, online oder offline, aber darüber hinaus wird Lernen und Arbeiten ineinander verschwimmen. Dann wird nicht mehr neue Software für das Lernen eingeführt, sondern der ganze Arbeitsplatz zum Web-Arbeitsplatz umgestaltet. 

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