Samstag, 1. Februar 2020

Es geht nicht um alles oder nichts: Katastrophaler Klimawandel braucht kein Aussterben der Menschheit zu bedeuten

Klimawandel: Was, wenn es so kommt? von Ulrich Schnabel ZEIT 29.1.20

"Der Kampf gegen den Klimawandel ist verloren, sagt der Schriftsteller Jonathan Franzen. Manche Forscher behaupten gar, schon in diesem Jahrzehnt breche die Zivilisation zusammen. Es ist Zeit, sich mit dieser "Kollapsologie" zu befassen.

[...] Daten des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sind 14 Prozent der Deutschen überzeugt, es sei zu spät, die Klimakatastrophe abzuwenden, über 30 Prozent halten deshalb einen neuen Weltkrieg oder das Aussterben der menschlichen Art für möglich.
Nun sind solche Online-Umfragen mit Vorsicht zu genießen, weil die Datenbasis nicht immer repräsentativ ist. Dennoch zeigt sich darin ein Trend. Bisher herrschten zum Thema Klimawandel grob zwei Reaktionsweisen vor: entweder Abwiegeln – "Das Thema ist total aufgebauscht, wird schon nicht so schlimm kommen" – oder Alarmieren – "Es ist fünf vor zwölf! Nur wenn wir jetzt radikal umsteuern, bekommen wir die Erderwärmung noch in den Griff". Neuerdings kommt eine dritte Reaktion hinzu: Resignieren. "Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Hören wir auf, uns etwas vorzumachen, und gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können", so formuliert es stellvertretend für die Resignierten der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen.
Franzen, der mit Bestsellern wie Die Korrekturen weltberühmt wurde, erregte vergangenes Jahr großes Aufsehen mit einem Essay im New Yorker, der nun auf Deutsch erscheint. Darin argumentiert Franzen, die Menschheit wisse seit 30 Jahren, dass sich die Erde aufheize; dennoch schaffe sie es nicht, ihren CO₂-Ausstoß zu begrenzen. Trotz aller Appelle, "die Ärmel hochzukrempeln" und "den Planeten zu retten", wurde "in den letzten dreißig Jahren so viel atmosphärisches Kohlendioxid produziert wie in den gesamten vorangegangenen zwei Jahrhunderten", schreibt Franzen. Das erforderliche Umsteuern sei, "gelinde gesagt, eine Herkulesaufgabe". Dass sie noch gemeistert werde, halte er für unmöglich, und zwar aus einem einfachen Grund: "Ich glaube nicht, dass die menschliche Natur sich in absehbarer Zeit ändert." [...]
Doch bei aller Kritik kommt man nicht umhin, Franzen in einem Punkt recht zu geben: Bis heute deutet nichts auf eine Begrenzung der Erderwärmung hin. Zwar gab es unzählige Studien, Konferenzen, Aufrufe, internationale Vereinbarungen und neuerdings sogar Appelle großer Unternehmen. Doch unterm Strich bleibt festzuhalten, dass jedes Jahr mehr CO₂ als im Vorjahr ausgestoßen wird; praktisch jedes Jahr messen die Forscher zugleich neue Temperatur-Rekorde oder Höchstwerte beim Rückgang des arktischen Meereises. Der Ozeanbeauftragte der UN, Peter Thomson, verglich kürzlich die Lage gar mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: "Politiker versuchen, hier und da Deals zu schließen. Aber wir müssen damit anfangen, wie in einem Kriegszustand zu denken." Der Meeresspiegel steige seit 1993 durchschnittlich jedes Jahr um 3,15 Millimeter, Thomsons Heimatland Fidschi werde zunehmend vom Meer und von Tropenstürmen attackiert. "Dies sind Kriegszustände für die Einwohner dort." [...]
Irgendwann überschreiten Gesellschaften ihren Höhepunkt und brechen spektakulär zusammen – so wie es der Evolutionsbiologe Jared Diamond in seinem Buch Kollaps für frühere Kulturen beschrieben hat.
In dieselbe Richtung denkt Jem Bendell, momentan der wohl einflussreichste Kollapsologe. Sein vor eineinhalb Jahren veröffentlichter Wegweiser, um uns durch die Klimakatastrophe zu führen ist weltweit zum Evangelium der Kollaps-Gläubigen geworden. Über eine halbe Million Mal wurde Bendells Aufsatz vom Server geladen, vielfach sind Foren und Facebook-Gruppen entstanden, die sein Konzept der deep adaptation (Tiefenanpassung) diskutieren. Wissenschaftler betrachten das alles eher mit Stirnrunzeln, Bendells Aufsatz ist mehr Meinungsäußerung als wissenschaftlicher Text. Fachzeitschriften haben ihn abgelehnt und größere Korrekturen verlangt, was Bendell dadurch umging, dass er ihn auf seiner Homepage veröffentlichte. Und damit erzielte er in bestimmten Kreisen erstaunliche Resonanz. [...]
Manche Forscher halten schon einen Temperaturanstieg von drei Grad für katastrophal, andere sehen die existenzielle Bedrohung der Menschheit erst bei fünf Grad erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Zustände bis zum Ende des Jahrhunderts eintreten, beziffern manche Studien auf 5 Prozent, andere auf 10 Prozent, manche auch noch höher. Aber klar ist: So unausweichlich, wie Bendell den Kollaps darstellt, ist er keineswegs. [...]"



Zur Kritik speziell an der Position von Jonathan Franzen:
https://generationenstiftung.com/2020/02/04/mr-franzen-how-dare-you/
"[...] Es geht nicht darum, ob der Kampf gewonnen oder verloren wird. 
Es geht um eineinhalb oder zwei oder vier Grad Erwärmung. [...]"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen