Invasionen der
Biosphäre
"[...] Der Grenzkampf des spanischen Adels gegen die
Mauren und später die Überfälle auf die Urbevölkerung der
Kanarischen Inseln formten einen Charaktertypus, der auf die
Eroberung Amerikas vorbereitet war. Und wer im 17.Jahrhundert der
englischen Krone in Irland gedient hatte, war auch in Übersee gut zu
gebrauchen. [...] Frontiers standen auch in ökologischen
Beziehungen zueinander. Zunehmend wurde solcher Austausch planvoll
betrieben: die Kalifornier importierten den australischen Eukalyptus
als wichtigste Pflanze bei der Aufforstung arider Landschaften, und
in Australien wurde die kalifornische Monterey-Pinie zum beliebtesten
Plantagenbaum. [...]
Entwaldung
In den langen Geschichten
planrnäßiger Entwaldung und des Klagens darüber, die
beide in Europa und China in dem halben Jahrtausend vor den
Zeitenwende beginnen, kann dem 19. Jahrhundert nicht ohne Mühe ein
genau bestimmter Platz zugewiesen werden. Mit Sicherheit war es die
bis dahin für die Urwälder der Erde zerstörerischste Epoche,
jedoch noch harmlos im Vergleich zum 20.Jahrhundert. [...]
In China wird seit zweieinhalbtausend
Jahren Wald vernichtet. Doch erst seit dem 18.Jahrhundert ist es
gerechtfertigt, von einer generellen Holzkrise zu sprechen. [...] Nicht-han-chinesische Gemeinschaften in entlegenen Peripherien
organisierten sich damals erstmals, um ihre restlichen Wälder gegen
Han-Chinesen zu verteidigen, die oft als großbetrieblich operierende
Einschlagkommandos auftraten. [...] In China
war im 19.Jahrhundert das Stadium einer generellen Entwaldungskrise
erreicht. Niemand, weder der Staat noch Privatleute, unternahm
dagegen etwas - woran sich bis heute wenig geändert hat. Es gab
keine Tradition des obrigkeitlichen Forstschutzes, wie sie sich in
Europa seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hatte. Die heutige
chinesische Umweltkrise hat ihre Wurzeln im 19.Jahrhundert. [...]
Eine andere
Geschichte lässt sich von der indonesischen Insel Java erzählen,
einem der kolonial am dauerhaftesten und tiefsten durchdrungenen
Gebiete der Welt. In Südostasien begann Entwaldung größeren
Ausmaßes bereits lange vor der im 19.Jahrhundert einsetzenden Ära
der waldverschlingenden Plantagenlandwirtschaft. Dort war es
vielerorts schon um 1400, vor jedem kolonialen Kontakt, zur Anlage
von Pfeffergärten für den Export gekommen. [...]
Zwischen 1840 und 1870 verlor Java etwa
ein Drittel seiner Teakwälder; an Aufforstung wurde nicht gedacht.
Danach begann abermals eine Phase (wie nach 1808) konservierender
Reform: Wiederaufbau einer Forstverwaltung, Zurückdrängung privater
Nutzung, Regeneration der Bestände durch Baumschulen. 1897 wurde die
Teakwirtschaft definitiv unter Staatskontrolle gestellt und
forstlicher Pflege unterworfen. Fortan wurde der Holzbedarf ohne die
Schäden früherer Zeiten gedeckt. [...]
Die Schattenseite eines waldpflegenden
Regiments konnte - nicht nur unter kolonialen Bedingungen -
allerdings darin bestehen, dass die Gemeinschaften, die traditionell
im und vom Wald lebten, nun zu Objekten staatlicher Intervention
wurden: "stumme Abhängige der Wälderverwaltung" Analog zu
Forstordnungen und Jagdgesetzen der europäischen frühen Neuzeit
schufen die waldpflegerischen Eingriffe eines umweltbewussten Staates
neue Abgrenzungen zwischen Legalität und Illegalität. Immer
wieder riefen sie den Widerstand bäuerlicher Gemeinschaften
hervor.
So bietet Indien mit seltener Deutlichkeit ein
Beispiel für eine Paradoxie des kolonialen Staates: [...] Das Forest Department entwarf und
praktizierte ein vorbildliches rationales Waldmanagement, das die
chaotische Zerstörung der indischen Wälder in kontrollierte Bahnen
lenkte. Es wurde zu einem weltweit und nicht zuletzt in England und
Schottland kopierten Modell, auch deshalb, weil es effizient und
profitabel wirtschaftete. Zugleich aber erschien es vielen Indern als
eine besonders hässliche Fratze des kolonialen Staates: eine fremde
Invasionsmacht, die rücksichtslos in das Leben von Millionen
eingriff, die alle irgendwie mit dem Wald zu tun hatten, ob sie ihn
nun erhalten oder beseitigen wollten. [...]"
Waldvernichtung in den küstennahen Gebieten Brasiliens
Die Ausbreitung des Kaffeeanbaus begann schon nach 1770. In
den 1830er Jahren hatte der Kaffeestrauch, aus Ostafrika eingeführt,
Zuckerrohr als die wichtigste kommerzielle Nutzpflanze ersetzt. Er behielt diese Stellung bis Anfang
der 1960er Jahre. Für Kaffee wurde vor allem Hügelland gerodet, das
ungeschützt dann besonders schnell von Erosion betroffen war und
bald verwüstet wieder aufgegeben wurde. [...] So wurde bis in die zweite Hälfte des
19. Jahrhunderts hinein die Kaffeekultur zu einer eigenartigen Mischung
aus "moderner" kapitalistischer Wirtschaft und primitiver
Wanderkultur: [...] Niemand hatte ein Interesse an
hochwertigem Wald. Es war einfacher und billiger, Holz für den
Schiffbau aus den USA und später Eisenbahnschwellen aus Australien
zu importieren.
Der brasilianische Fall repräsentiert
eine extrem verschwenderische Waldnutzung, die durch keinerlei
Forstaufsicht gebremst wurde. Anders als der koloniale Staat, der
bestenfalls eine langfristige Ressourcenpflege im Auge hatte, ließ
der unabhängige brasilianische Staat Privatinteressen schrankenlos
gewähren. Die Zerstörung des atlantischen Regenwaldes in Brasilien,
die in der portugiesischen Kolonialzeit begann, aber erst unter dem
post-kolonialen Kaiserreich (1822-89) und der darauf folgenden
Republik wirklich verheerende Ausmaße annahm, gehört zu den
brutalsten und gründlichsten Prozessen der Waldvernichtung in der
Neuzeit, umso schlimmer deshalb, weil nicht der geringste
gesamtwirtschaftliche Vorteil daraus gezogen wurde [...]
[In England] hatte unter anderem der
unersättliche Bedarf der Royal Navy erst zu Abholzungen und später
zu den unvermeidlichen Klagen über eine strategisch riskante
Abhängigkeit von ausländischen Holzquellen geführt. Immerhin waren
für ein großes Kriegsschiff mindestens 2000 ausgewachsene
Eichenstämme bester Qualität erforderlich. Holzmangel zwang die
britische Kriegsmarine (unter dem Druck des Unterhauses), schon früh,
Eisentechnologie zu nutzen. Ab 1870 machte sich überall der
technische Umstand bemerkbar, dass große Schiffe aus Eisen leichter
sind als solche aus Holz; dieser Effekt wurde durch den Übergang von
Eisen zu Stahl verstärkt. Auch in Frankreich fand bei der
Kriegsmarine zwischen 1855 und 1870 ein fast vollständiger Wechsel
von Holz zu Stahl statt. Damit verminderte sich die Doppelbelastung
durch Schiffbau und Eisenbahnschwellen, der europäische Wälder
ausgesetzt waren. [...]
Zum ökologischen Bewusstsein am Anfang der Entwaldung im 19. Jahrhundert sieh:
Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, C.H.Beck, München 2011, S.39-79 [Fontanefan]
Großwildjagd
Was vorher ein Privileg des Adels gewesen war, konnte sich im 19. Jh. auch das reiche Bürgertum leisten.
[...] Neu war der organisierte Angriff auf
exotisches Großwild, der größte seit der Verschleppung von
Hekatomben wilder Tiere in die blutigen Arenen des alten Roms, [...]
Die Großwildjagd war in zahlreichen
Gesellschaften Asiens ein königliches Privileg gewesen. Nun wurde
sie nach europäischem Vorbild auch niederen Rängen der Aristokratie
zugänglich gemacht. [...] Ebenso gingen nun auch Dorfbewohner
rabiater gegen Großtiere vor. Selbstverständlich hatte zwischen
Mensch und Tier niemals eine unschuldige Harmonie geherrscht. Tiger
etwa konnten ganze Landstriche terrorisieren. Dörfer wurden
verlassen, wenn das Vieh, der kostbarste Besitz der Landbewohner,
nicht mehr geschützt werden konnte, wenn das Sammeln von Früchten
und Brennholz (eine Beschäftigung junger Mädchen und alter Frauen)
unmöglich geworden war oder wenn ein übermäßiger Anteil der
Kinder den Raubtieren zum Opfer fiel. [...]
Einige Jäger spezialisierten sich auf
die Beschaffung von Großkatzen für europäische und
nordamerikanische Zoos und Zirkusse. Der erste "moderne" Zoo in
Europa war der 1828 eröffnete in London, [...] viele Tiere überlebten den Transport nicht. Doch
die enormen Handelsspannen glichen dies aus. Nashörner konnten in
den 1870er Jahren für 160 bis 400 Mark in Ostafrika erworben und für
6000 bis 12 000 Mark in Europa verkauft werden. Bis 1887 hatte die
Firma Hagenbeck mehr als 1000 Löwen und 300 bis 400 Tiger umgesetzt. [...]
Allein in den 1860er Jahren
importierte Großbritannien jährlich 550 Tonnen Elfenbein aus allen
Teilen des damals noch gar nicht kolonisierten Afrika sowie aus
Indien. Der Höhepunkt der afrikanischen Exporte war zwischen 1870
und 1890 erreicht, also gerade während des Wettlaufs der
Kolonialmächte um Besitzungen in Afrika. Damals wurden jährlich in
Afrika 60-70 000 Elefanten getötet. [...]
Gentlemen jagten, aber das Jagen
gehörte auch zum natürlichen Privileg von Siedlern, die fast immer
Bauern und Jäger zugleich waren. Schließlich waren in allen
Siedlungsgebieten der Welt zumindest am Beginn des 19.Jahrhunderts
Raubtiere noch so weit verbreitet, dass die Pioniere gute Gründe
hatten, ihr Eigentum zu schützen.
Moby Dick: Walfang
"[...] Der Walfang erreichte den Höhepunkt
seiner internationalen Bedeutung etwa zwischen 1820 und 1860. [...] Neuentdeckungen von Walpopulationen
lösten "Ölkämpfe" zwischen einzelnen Schiffen und ganzen
nationalen Flotten aus, die an den Goldrausch in Kalifornien oder
Australien erinnerten. [...] 1848 reiche Walfanggründe entdeckt,
vor allem bevölkert von dem heute fast verschwundenen Grönlandwal,
die wichtigste Entdeckung überhaupt im Walfang des 19.Jahrhunderts,
denn keine Walart liefert durch ihre Barten besseres "Fischbein". Sie führte zur ersten kommerziellen
Präsenz der USA im maritimen Norden, [...] Das Interesse der USA an Alaska
wäre ohne diese vorausgehende Entwicklung kaum denkbar. [...]
Die 1870er Jahre waren eine allgemeine
Krisenzeit für den amerikanischen Walfang. Die einstweilige Rettung
kam von der Nachfrageseite durch das neue Schönheitsideal der
Wespentaille und die dadurch gestiegenen Ansprüche an eine
Korsett-Technik, die auf die feste Elastizität von Fischbeinstäbchen
angewiesen war. Es lohnte sich jetzt, noch weiter auf dem Meer
vorzudringen. [...]
Das einzige nicht-westliche Volk, das
unabhängig von westlichen Einflüssen Walen nachstellte, waren die
Japaner. [...] Seit dem späten 17.Jahrhundert
verwandte man statt des Harpunierens die Methode, Wale (die vor Japan
zumeist zu kleineren und langsamer schwimmenden Arten gehören) von
Booten aus in große Netze zu treiben. Die Verarbeitung der Wale, bei
der nichts ungenutzt blieb, geschah nicht auf Schiffen (wie bei den
US-whalers), sondern an Land. [...]
Ein in ganz Japan publizierter Fall war
der des Nakahama Manjirö. Er wurde als schiffbrüchiger Fischerjunge
1841 von einem amerikanischen Walfangschiff gerettet. Der Kapitän
nahm ihn zu Hause in seine eigene Familie auf und sorgte für eine
gute Schulausbildung. So wurde Nakahama zum ersten japanischen
Studenten in Amerika.[...] Aus Heimweh kehrte er aber auf
abenteuerlichen Wegen 1851 nach Japan zurück. [...] Nakahama wurde zu einem Lehrer an der Clanschule in Tosa;
einige seiner Schüler sollten später zu den Führern der
Meiji-Renovation gehören. 1854 wurde er vom Shögun als Übersetzer
bei den Verhandlungen mit Commodore Perry eingesetzt, dem
Befehlshaber der amerikanischen Flottille, die Japan "öffnete".
Nakahama übersetzte eine Reihe ausländischer Bücher über
Navigation, Astronomie und Schiffbau und beriet die Regierung beim
Aufbau einer modernen japanischen FIotte. [...]
Landgewinnung
[...] In Frankreich etwa waren bereits um
1860 alle größeren Moorgebiete drainiert und in Weideland
verwandelt worden [...]. Vor allem für
die Niederlande blieben Flutsicherung und Neulandgewinnung Teil ihrer
nationalen Existenzweise. [...] Bereits
im 16. und nicht erst im 19.Jahrhundert wurden die entscheidenden technologischen
Fortschritte erzielt. Schon zwischen 1610 und 1640 wurde ein
Höhepunkt der Seetrockenlegung erreicht, der später selten
übertroffen werden würde. Zwischen 1500 und 1815 wurden in den
Niederlanden insgesamt 250000 Hektar gewonnen, etwa ein Drittel der
kultivierten Fläche. [...].
Insgesamt wurden zwischen 1833 und 1911 350000 Hektar neu in Kultur
genommen, 100000 Hektar davon ein Gewinn aus Eindeichungen und
Trockenlegungen.[...] Das
Hauptprojekt des 19. Jahrhunderts war die Trockenlegung des 18000
Hektar großen Haarlernermeeres in den Jahren 1836 bis 1852. Das
Haarlemermeer war ein flacher Binnensee inmitten der wichtigsten
Provinz des Landes, Holland. Entstanden war er durch Überschwemmungen
während der Stürme vom Herbst 1836. [...] die Furcht,
das sich stetig ausdehnende Haarlernermeer würde die Städte
Amsterdam und Leiden gefährden, und außerdem ein neuer
wirtschaftspolitischer Gesichtspunkt: Arbeitsbeschaffung. [...]
Manche Frontiers haben eine
Nachgeschichte im 20. Jahrhundert: die staatskolonialistische
Unterwerfung von "Lebensraum" zwischen etwa 1930 und 1945, die
sozial- und umwelttechnischen Großprojekte im Zeichen des
Sozialismus oder die politisch geförderte Expansion der
Hau-Chinesen, die während der letzten Jahrzehnte die Tibeter zu
einer Minderheit in ihrem eigenen Land werden ließ. Frontiers waren
im 19. Jahrhundert vieles: Räume der Urbarmachung und
Produktionssteigerung, Migrationsmagneten, umstrittene
Berührungszonen zwischen Imperien, Brennpunkte von Klassenbildung,
Sphären von ethnischem Konflikt und Gewalt, Entstehungsorte von
Siedlerdemokratie und Rasseregimen, Ansatzpunkte von Phantasmen und
Ideologien. Vorübergehend wurden Frontiers zu erstrangigen Herden
historischer Dynamik. [...] Was
die Folgen solcher Dynamik betrifft, [...] Die Opfer von
Frontierexpansionen blieben ausgegrenzt, enteignet und entrechtet.
Erst vor wenigen Jahren haben Gerichte in den USA, Australien,
Neuseeland oder Kanada begonnen, manche ihre Rechtsansprüche
anzuerkennen; Regierungen haben moralische Verantwortung übernommen
und sich für Untaten der Vergangenheit entschuldigt.
(Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, S.541-564.)
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