Montag, 1. Dezember 2014

Osterhammel zu "Arbeit" im 19. Jahrhundert

„Im Okzident wurde 'Arbeit' gleichzeitig zu einem hohen Wert und zu einer bevorzugten Kategorie der Selbstbeschreibung. […] Königinnen ließen sich in der Öffentlichkeit mit Strickzeug sehen. (S.959)

„Die klassische Industriegesellschaft war ein flüchtiger Moment in der Weltgeschichte. Nur in wenigen Ländern, in Großbritannien, Deutschland, Belgien und der Schweiz, war die Industrie für mehr als ein halbes Jahrhundert der führende Beschäftigungssektor. […] Selbst in den industriell leistungsfähigsten Ländern, den USA und Japan, überflügelte Industriearbeit niemals die Beschäftigung in Landwirtschaft und Dienstleistungssektor.“ (S.961)

Landarbeit
In China und Indien waren die "Bauern im Prinzip rechtlich freie Leute, sie erzeugten einen Teil ihrer Produktion für den Markt" (S.968) "Dennoch barg vor allem [...] der Geldverleih viele Möglichkeiten, schwächere Mitglieder der Dorfhierarchie in Abhängigkeit zu bringen." (S.967)
"Die chinesische Agrarverfassung [...] war bei weitem freiheitlicher als die ländliche Ordnung im Osten Europas." (S.969) 
"Landarbeit blieb das ganze Jahrhundert fast überall Handarbeit." (S.970)

Plantagen
"Plantagen erwuchsen nicht aus der langsamen Kontinuität lokaler Entwicklungen. Sie wurden durch ausländische Intervention gegründet [...] Kapital und Management der neuen Plantagen des späten 19. Jahrhunderts kamen unweigerlich aus Europa oder Nordamerika." (S.971)
"[...] oft einer solch strengen Disziplin unterworfen, dass sich die Bedingungen von denen auf manchen Sklavenplantagen nicht deutlich unterschieden. Das Verlassen des Arbeitsplatzes wurde als Verbrechen bestraft." (S.971)
Die Plantagen hatten "oft eine industrielle Komponente", da "die Weiterverarbeitung des Urprodukts am selben Ort geschieht." (S.972)

Haciendas
Die Hacienda war nach dem Modell einer patriarchalischen Familie konstruiert." (S.973)
"Die Abhängigkeit der peones lag weniger in offenen Zwangsverhältnissen begründet als in einer Verschuldung beim haciendado, die an die Kreditbeziehungen zwischen einfachen Bauern und dominanter Elite in chinesischen oder indischen Dörfern erinnert." (S.973)
In Mexiko "löste die Politik der republikanischen Epoche [...] das Kommunaleigentum der Indios weitgehend auf und überließ sie ungeschützt den Gewinninteressen der haciendados." (S.974)
[Insofern war die spanische Kolonialmacht für "die Indios eine Schutzmacht" gewesen, "wenngleich keine verlässliche".]

Orte der Arbeit: Fabrik, Baustelle, Kontor
Fabrik
"Manchmal blieb die Fabrik ein freistehender Komplex auf dem 'Lande', so zum Beispiel in Russland, wo um 1900 über 60 Prozent aller Fabriken außerhalb von Städten disloziert waren." (S.977)
In der Seiden- und Baumwollindustrie in Japan herrschten "entsetzliche Arbeitsbedingungen".[...] vor allem Krankheit führte dazu, dass drei Viertel der Frauen weniger als drei Jahre in der Fabrik zubrachten." (S.979)
Kanalbau
"Der Kanalbau war um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer der fortschrittlichsten Industrien geworden." (S.980)
Beispiel: Sueskanal. "Über die Gesamtzahl der  eingesetzten Fellachen fehlen Daten. Man schätzt, dass monatlich 20 000 neu zur Baustelle kamen und dass insgesamt 400 000 Ägypter am Kanal arbeiteten." (S.983)
Eisenbahnen
"Die transkontinentale Eisenbahn [...] war das letzte umfassende Ingenieurprojekt in den USA, das überwiegend durch Handarbeit realisiert wurde." (S.985)
In Indien waren in fünf Jahrzehnten "über zehn Millionen Arbeiter beteiligt". "Auf dem Höhepunkt des Bahnbaus im Jahre 1898 waren um die 460 000 Inder gleichzeitig im Einsatz." (S.986)
Arbeitsplatz Schiff
In den ersten Jahrzehnten der Dampfschifffahrt änderte sich an dem hohen Personalbedarf wenig. Da sich gleichzeitig das Volumen des Schiffsverkehrs aller Art bedeutend steigerte, gerade auch im Binnenverkehr auf Flüssen [...]  erlangte der Arbeitsort Schiff im 19. Jahrhundert den Höhepunkt seiner Bedeutung. Das Schiff blieb, was es in der frühen Neuzeit gewesen war: ein kosmopolitischer Raum mit Mannschaften aus aller Welt. Ebenso war es neben dem Militär und der Plantage der am stärksten mit Gewalt aufgeladene Arbeitsplatz." (S.987)
Walfang:"1840 waren vierjährige Fangexpeditionen [...] nicht unüblich. Den Rekord hielt die Nile, die im April 1869 nach elfjähriger Abwesenheit ihren Heimathafen in Connecticut anlief." (S.988)
Kontor und Haushalt
"Die Ausweitung von White-collar-Tätigkeiten schuf neue Funktions- und Geschlechterhierarchien. Der Arbeitsmarkt für Frauen wuchs in diesem 'tertiären' Bereich, zu dem auch der Einzelhandel [...] gehörte." (S.989)
"[...] so gehörte die Beschäftigung als Dienstbote in einem Haushalt zu den ältesten Gewerben dieser Welt." (S.990)
[In Russland gingen junge Frauen, die vom Land kamen, eher in private Dienstverhältnisse als in Fabriken.] "In Moskau verfügten 1882 mehr als 39 Prozent aller Haushalte über Personal, in Berlin waren es immerhin etwa 20 Prozent." (S.991)
"Häuslicher Dienst war eher eine lokale Beschäftigung [...]  Die Globalisierung häuslicher Dienste [...] ist eine Erscheinung erst des späten 20. Jahrhunderts." (S.992)

Pfade der Emanzipation in der Arbeitswelt

Sklaverei
1808 erklärten "gleichzeitig (und unabhängig voneinander) Großbritannien und die Vereinigten Staaten den / internationalen Sklavenhandel für illegal" (S.992/3)
USA: "Es dauerte nach dem Bürgerkrieg noch ein volles Jahrhundert, bis sich die Schwarzen ihre wichtigsten Bürgerrechte in der Praxis erkämpft hatten." (S.993)
"Ex-Sklaven waren schwache und besonders verwundbare Menschen ohne natürliche Verbündete in der Gesellschaft." (S.994)

Leibeigene
[Leibeigene waren etwas weniger unfrei als Sklaven. Dafür gab es in der Gesellschaft einen viel größeren Anteil.] 
"Die Überwindung beider Systeme verlief zeitlich exakt synchron." (S.999)

Bauernbefreiung
"Die 'alte' Freiheit der europäischen Bauern war im Dorf und in der Beziehung zum Herren ausgelebt worden; die 'neue' Freiheit des 19. Jahrhunderts konnte einen Rahmen nicht überschreiten, den der regelnde Staat setzte. Selbst die überzeugtesten Liberalen erkannten mit der Zeit, dass keine Märkte so stark nach politischer Regelung riefen wie die Agarmärkte. So wurde im letzten Viertel des Jahrhunderts die Agrarpolitik geboren, von der bäuerliche Existenz in Europa seither abhängig geblieben ist." (S.1004)

Die Asymmetrie der Lohnarbeit
Am Ende der Bauernbefreiung gab es auf dem Land die agrarischen Unternehmer und die Lohnarbeiter. Aber es gab eine Übergangsphase. Mit einer Art 'Beugehaft' konnten die Arbeitgeber oft noch die Aufrechterhaltung eines Arbeitsverhältnisses erzwingen. "So schlummerte in freien Lohnarbeitsbeziehúngen noch jahrzehntelang ein Rest von Arbeitszwang." (S.1007)
Zusammen mit mit Stanley Engerman hat Robert Fogel in Time on the Cross. The economics of american negro slavery 1974 nachgewiesen, "dass Sklavenarbeit [...] mindestens ebenso effizient und rational war wie freie Arbeit [...]." Es gab also keinen ökonomischen Zwang zur Abschaffung der Sklaverei.

Arbeitsmarkt ohne Gleichgewicht
"Erst die Einschränkung der Freiheit des Marktes durch Bildung von Verhandlungsmonopolen auf der Arbeiterseite gab den Einzelnen Freiheit von den Machtmitteln der Käufer von Arbeitskraft [...] Freie Arbeit […] entstand aus der sozialstaatlich motivierten Einschränkung unbegrenzter Vertragsfreiheit.“ (S.1008)
Der frühe Sozialstaat ersetzte Fürsorge durch das „Prinzip der Pflichtversicherung“. (S.1008)
„Es gibt nur zwei grundsätzliche Überlebensstrategien der Schwachen: Anlehnung an Stärkere oder Solidarisierung mit anderen Schwachen. Die erste Option war generell die sicherere.“ (S.1009)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen