Sonntag, 10. Mai 2020

Zur Rolle der Infektionskrankheiten um 1800

Osterhammel in "Die Verwandlung der Welt"
"Die durchschnittliche Lebenszeit (zum Zeitpunkt der Geburt) der Weltbevölkerung lag um 1800 bei höchstens 30 Jahren, [...] Der Tod kam typischerweise durch schnell ablaufende Infektionskrankheiten. Er hatte 'spitzere Waffen' (Arthur E. Imhof) als heute, wo in den reichen Gesellschaften langwierige degenerative Leiden als Todesursachen überwiegen. Bis zum Jahr 2000 ist die Lebenserwartung bei rasch wachsenden absoluten Zahlen der Menschen auf der Erde auf 67 Jahre gestiegen. Damit haben sich die biologischen Lebenschancen viel stärker zwischen Gesellschaften und innerhalb von Gesellschaften angeglichen als die Einkommensverhältnisse. Anders gesagt: Die Menschen wurden schneller älter als materiell reicher. Die Erwartung eines langen Lebens ist gewissermaßen 'demokratisiert' worden." (S.258)

Sauberes Wasser
Dass [...] eine Wasserpolitik entstehen konnte, setzte die Anerkennung von Wasser als öffentlichem Gut voraus. Wasserrechte mussten definiert und staatliche von privaten Ansprüchen getrennt werden. Die Herausbildung umfassender rechtlicher Bestimmungen für das Eigentum und die Nutzung von Wasser, auch für seine industriellen Verwendungen, war ein langwieriger und extrem komplizierter Prozess. Sogar im zentralistischen Frankreich wurde er erst 1964 abgeschlossen [...]" (S.261)

1849 stellte John Snow fest, dass Cholera durch verunreinigtes Wasser übertragen wird. Seine Ansicht brauchte allerdings 15 Jahre, bevor sie sich halbwegs allgemein durchsetzte. 

In London wurden die eindrucksvollsten Leistungen beim Bau von Abwasserkanälen erbracht. Bis 1886 waren es 1 300 Meilen.
"Technisch gesehen, hätte man die viktorianischen Abwasseranlagen schon ein Jahrhundert früher bauen können. Es war eine Frage der Problemwahrnehmung [...]" (S.263)
"Das muslimische Westasien wurde von europäischen Reisenden immer wieder für die hohe Qualität seiner städtischen Wasserversorgung gerühmt." (S.263)

Niedergang und Wiederaufstieg öffentlicher Gesundheitsverhältnisse

"Sobald neues Wissen über epidemische Zusammenhänge sowie die Technologie, dieses Wissen umzusetzen, bereitstanden, verloren die großen Städte ihre 'Übersterblichkeit' [dazu sieh: Sterblichkeit] und wurden gesündere Lebenswelten als das platte Land." (S.265)
"Die Einführung von Gesundheitssystemen war überall auf der Welt ein tiefer Einschnitt. (S.266) 


Seuchenangst und Prävention
Große Tendenzen
"Zu den als neu empfundenen Leiden der Epoche gehörte die Tuberkulose." (S.269)
"In der Bevölkerung hielt sich die Vorstellung von 'Tbc' als einem vererbbaren Leiden, das möglichst verborgen werden müsse, während die Medizinbürokraten möglichst viele Fälle registrieren wollten. Auch die Fabrikanten hielten gern an der Vererbungstheorie fest, sahen sie doch keine Notwendigkeit, die Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern. (S.270)

Im 19. Jahrhundert gab es zwei gegenläufige Tendenzen. Einerseits konnten Krankheiten besser bekämpft werden, andererseits breiteten sie sich wegen verstärkter Migration und verbesserten Verkehrsmitteln schneller aus.

"Nun wurden Seuchen immer schneller transportierbar. Der Höhepunkt war mit der weltweiten Grippeepidemie von 1918 erreicht, die je nach Schätzung 50 bis 100 Millionen Menschen tötete." (S.271)

Der Kampf gegen die Pocken

In China beginnend, dann auch in Indien und dem Osmanischen Reich wurde seit dem späten 17. Jahrhundert die Inokulation, ein recht riskantes, aber oft erfolgreich immunisierendes Verfahren eingesetzt. Doch erst 1796 fand Edward Jenner die Möglichkeit der vergleichsweise risikolosen Schutzimpfung.
"Vor Edward Jenner, der die schützende Wirkung der viel schwächeren Kuhpocken für den Menschen entdeckte, gab es noch kein unriskantes und für ganze Populationen verwendbares Verfahren der Pockenprophylaxe." (S.272)
"Napoleon ließ 1800 die ersten Schutzimpfungen vornehmen [...] Ägypten war schneller als Großbritannien. Dort wurde die Immunisierung erst 1853 Pflicht [...]. (S.272)
(Hervorhebungen von Fontanefan)

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