Dienstag, 13. Januar 2015

Zur Einordnung des Wortes "Lügenpresse"

Wer zur Beschreibung gefährlicher Entwicklungen in der Presselandschaft das Wort "Lügenpresse" wählt, begibt sich der Chance von kritischen Beobachtern der Medienlandschaft ernst genommen zu werden. So viel war wohl den meisten, die nicht dem Bannkreis von Pegida längst verfallen waren, klar, sobald das Wort bei Pegida auftauchte.
Dennoch bin ich fasziniert davon, mit welcher Klarheit Stephan Hebel in seiner Erläuterung, weshalb er für Lügenpresse als "Unwort des Jahres" plädiert hat, und seriöse Medienkritik von solchem Sprachgebrauch scheidet.
Ich danke den NachDenkseiten für den Hinweis auf den wichtigen Abschnitt in Hebels neustem Buch.
Aus Hebels Text möchte ich wenigstens einen Abschnitt zitieren, in dem er seine eigene Analyse nicht ungeschickt durch Anführung einer Äußerung von Jürgen Habermas unterstützt:
Ich warne vor der Illusion, das „Web 2.0“ als freier Kommunikationsraum könne den professionellen Journalismus nicht nur ergänzen, sondern ersetzen.
Unbestritten steckt in den Möglichkeiten eines mehr oder weniger barrierefreien Meinungsaustauschs das Potenzial für eine vollkommen neue Form von Öffentlichkeit. Die nicht immer, aber in großen Teilen berechtigte Kritik an der Kalte-Kriegs-Attitüde von Medien in der Ukraine-Krise hätte längst nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit und Resonanz gefunden, wäre sie nicht über digitale Kanäle zur Wirkung gebracht worden. Aber für die Herstellung einer demokratischen Öffentlichkeit bleiben auch diejenigen journalistischen Arbeitsweisen notwendig, die ohne Ausbildung, Zeit und Geld nicht zu haben sind.
Ein letztes Mal Jürgen Habermas: „Ich betrachte die Einführung der digitalen Kommunikation – nach den Erfindungen der Schrift und des Buchdrucks – als die dritte große Medienrevolution. (…) Mit dem letzten Schub hat auch eine Aktivierung stattgefunden – aus Lesern werden Autoren“, sagt er. Aber: „Das Netz (…) zerstreut. Denken Sie an die spontan auftauchenden Portale, sagen wir: für hochspezialisierte Briefmarkenfreunde, Europarechtler oder anonyme Alkoholiker. (…) Den in sich abgeschlossenen Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. Für diese Konzentration braucht man die Auswahl und kenntnisreiche Kommentierung von einschlägigen Themen, Beiträgen und Informationen. Die nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht untergehen.“ (Lügenpresse - das Unwort des Jahres, NachDenkseiten, 13.1.2015)
Man darf hoffen, dass es gelingen wird, die Nachteile der von Habermas beschriebenen Zerstreuung langfristig auszuschalten. Die Verbindung des Lobs der Möglichkeiten des Internets mit einer Warnung vor übergroßem Optimismus ist aus meiner Sicht Hebel wie Habermas wohl gelungen.

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