"Stéphane Charbonnier, ermordeter Chefredakteur von "Charlie Hebdo", wusste, was Angst bedeutet. Aber er wusste auch, was man ihr entgegensetzen muss: Die Freiheit, die wir haben, ausreizen. Sonst ist sie keine." (Bascha Mika in FR vom 12.1.15)
Erst jetzt ist mir klar geworden, wie schwer es für Journalisten bekannter Zeitungen ist, in Fällen allgemeiner Aufgeregtheit differenziert zu schreiben.
Dass es wichtig ist, Solidarität mit den Opfern des Attentats auf "Charlie Hebdo" zu zeigen, steht außer Frage. Für Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die angesprochen wurden und die Zahl "über 40" kannten, war es also fast unmöglich, nicht eingehakt mit zu marschieren, denn das hätte als Solidarisierung mit der falschen Seite verstanden werden können. Ähnliches gilt für Journalisten.
Sie müssen sehr sorgfältig abwägen, wie viel Solidaritätsbekundung das Minimum ist und abwann Differenzierung als Herunterspielen gewertet werden kann.
Nicht jedem ist wie Gustav Heinemann die Fähigkeit gegeben, so klar moralisch Stellung zu beziehen, dass auch ein hohes Maß an Differenzierung daneben nicht missverstanden werden kann.
Ich erinnere mich noch an die Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch die Terrororganisation Schwarzer September. Ich war so hilflos in Schrecken und Wut, dass ich mir nicht vorstellen konnte, was man da Sinnvolles hätte sagen können. Und dann sprach Heinemann und sprach aus, was zu denken mir noch nicht möglich gewesen war.
Ich möchte daher den Journalisten Abbitte leisten, die ich als zu mainstreamverhaftet und undifferenziert gesehen habe. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden.
Da bin ich als kleiner Blogger in einer anderen Situation. Niemand erwartet von mir Sprachrohrfunktion für "die" deutsche Haltung gegenüber einem Problem.
Dies gesagt, darf ich mich vielleicht getrauen, eine kleine Kritik an Bascha Mikas Formulierung anzubringen. Freiheit ist dazu da, genutzt zu werden, nur so kann man sie verteidigen.
Sie "auszureizen" aber ist problematisch., denn Freiheit geht immer nur so weit, wie sie die Freiheit des anderen nicht einschränkt. Auch Meinungsfreiheit.
Natürlich muss journalistische Freiheit davor geschützt werden, mit restriktiven Regeln des "Anstands" atomisiert zu werden. Aber dennoch geht es immer darum, wofür die Freiheit genutzt wird. Wenn sie nur gölte, wenn sie bis aufs äußerste ausgereizt würde, dann wäre empathischer Umgang stets mit dem Odium der Servilität behaftet. ("Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.")
Inzwischen (13.1.) möchte ich meine Argumentation durch Folgendes ergänzen:
"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."*
Nach allem, was ich über die islamkritischen Karikaturen in "Charlie Hebdo" weiß, widersprechen sie fundamental dem, was ich über den Islam zu sagen hätte. Aber:
wer "Charlie Hebdo" einschüchtern will, der findet mich auf Charlies Seite.
Es gibt kein allgemeines Recht auf Blasphemie, weil Blasphemie nicht selten geeignet ist, religiösen Hass zu verbreiten. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt bestehen.*
Dafür sollten alle Demokraten eintreten, und deshalb ist die Pariser Demonstration mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern so wichtig gewesen. (Auch die parallele Demonstration von etwa 50 Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs).
* Der Satz stammt nicht von Voltaire, ist aber geprägt worden. um seine allgemeine Haltung zur Meinungsfreiheit zu kennzeichnen.
* Freilich sind gerechtfertigter Gebrauch und Missbrauch nicht leicht zu unterscheiden. §166 StgB geht mit seinem Schutz religiöser Bekenntnisse etwas über die internationalen Normen hinaus.
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