"Jahr eins der Vergeltung
Auch in den Bundesstaaten, in denen viel Öl gefördert wird, bahnte sich schon zuvor ein breiter Rachefeldzug gegen lästige Umweltschützer an, der nun auch aus dem Weißen Haus unterstützt wird. In Louisiana etwa beschlossen die Volksvertreter schon 2024, dass bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams als "organisierte Kriminalität" geahndet werden können. Das gilt auch, wenn die Betroffenen lediglich an der Organisation eines solchen Protests beteiligt waren. Bei einer Verurteilung drohen bis zu 50 Jahre Haft mit schwerer körperlicher Arbeit und eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Dollar. In dem Bundesstaat gelten ohnehin schon seit August 2018 harte Strafen für Personen, die sich unerlaubt in der Nähe von Pipelines aufhalten. Deshalb will hier kaum jemand offen reden. [...]
Im Februar verurteilte ein Geschworenengericht in North Dakota – auch ein Bundesstaat, in dem Ölförderung eine der wichtigsten Branchen darstellt – Greenpeace dazu, mehr als 660 Millionen US-Dollar Schadensersatz zu zahlen, weil Greenpeace-Aktivisten sich gegenüber einem Pipeline-Betreiber des Hausfriedensbruchs, der Belästigung, Verschwörung und Verleumdung schuldig gemacht hätten. Inzwischen hat der Richter die Strafzahlung zwar halbiert, Greenpeace droht in den USA dennoch die Abwicklung, falls das Urteil Bestand hat. Die Entscheidung der Jury ist vorläufig, der Richter muss das Urteil noch bestätigen. Greenpeace erklärte, in Berufung gehen zu wollen. [...]
Wer verstehen will, wie die US-Umweltbewegung in diese Lage geraten konnte, muss wissen, wer Kelcy Warren ist. Er ist der Chef des Unternehmens Energy Transfer, das Greenpeace so erfolgreich verklagt hat. Der 70-jährige Texaner ist schon lange bekannt für seine markigen Sprüche über Umweltschützer, die sich gegen seine Pipelines stellten: Diese gehörten "aus dem Genpool" der Menschheit entfernt, sagte er einmal bei einer Veranstaltung.
Bekannt ist Warren auch für seinen guten Geschäftssinn. Nach dem Untergang des Energiekonzerns Enron 2001 hatte er dessen Pipelines für einen Spottpreis übernommen. Niemand sah damals großes Potenzial darin, aber dann brach die amerikanische Fracking-Revolution aus, eine neue und aus Umweltgesichtspunkten umstrittene Fördermethode für Öl und Gas. Sie löste einen Riesenboom in der fossilen Brennstoffindustrie aus und machte den Röhrenbesitzer Warren zum Multimilliardär. Nun baut er im ganzen Land immer mehr Pipelines, damit Gas und Öl ihren Weg zu den Kunden finden: Derzeit sind vier neue Ölhäfen im Golf von Mexiko sowie fünf Flüssiggasterminals im Bau, alle für den Export. Europa gehört inzwischen zu den größten Abnehmern von amerikanischem Flüssiggas, das per Tanker über den Atlantik geht. In Deutschland machen Importe aus den USA 90 Prozent der Flüssiggaseinfuhr aus."
"Jahr eins der Vergeltung" ZEIT 26.11.25
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