[...] KI ist ein Boomgeschäft. Gemessen an der Zahl der Nutzer, ist das Land schon heute der zweitgrößte Markt für die Chatbots, gleich nach den USA.
Aber an Orten wie Bangalore und den anderen indischen IT-Metropolen wie Hyderabad, Pune und Chennai wird auch über die Folgen für den Arbeitsmarkt gesprochen: Sind die neuen KI-Angebote eher eine Bedrohung als ein Versprechen? Könnten sie das automatisieren, was bisher Millionen Inder preiswert für Firmen in aller Welt erledigen: programmieren etwa und auf einfache Weise Daten verarbeiten? Indien galt lange als das "Backoffice" des Westens. Aber als Tata Consultancy Services, einer der größten Outsourcing-Anbieter, Mitte des Jahres ankündigte, 12.000 Stellen abzubauen, immerhin zwei Prozent seiner Belegschaft, wurde das gleich aufgeregt als Beginn einer ganzen Welle solcher Entlassungen gedeutet. [...]
Inzwischen, sagt der Professor, gebe es hier auch indische Unternehmen, die Radiologen beschäftigen, um die Röntgenbilder westlicher Patienten zu sichten. "Es ist nicht so, als könnte ein Highschool-Absolvent mal eben sagen, was auf solchen Röntgenaufnahmen zu sehen ist. Man braucht dafür eine entsprechende Ausbildung." Und das sei auch nur ein Beispiel. Einige Unternehmen hätten wichtige Funktionen ihrer Forschung und Entwicklung nach Indien verlagert.
Die Firmen lockt die große Zahl talentierter Arbeitskräfte
Etwa SAP: Der deutsche IT-Konzern hat im August in Bangalore einen zweiten Standort eröffnet; er ist insgesamt in sieben indischen Städten vertreten. Der Großteil der mehr als 17.000 SAP-Angestellten in Indien arbeitet in Laboren, die für Forschung und Entwicklung zuständig sind. Nirgendwo sonst außerhalb Deutschlands wird bei SAP so viel geforscht.
Die Unternehmen aus dem Westen reizen nicht mehr die geringen Gehälter, indische Fachkräfte werden heute deutlich besser bezahlt als früher. Die Firmen lockt weiterhin die große Zahl talentierter Arbeitskräfte. Vor allem aber die Binnennachfrage, denn anders als in westlichen Ländern und in China wächst die indische Bevölkerung noch spürbar. So ist es zwar auch in Afrika oder in Südamerika, aber in Indien finden sich besonders viele qualifizierte Fachkräfte. Und weil die meist jung sind, verstehen sie gut, welche Software junge Leute in anderen Schwellenländern wollen. Das reizt auch den Auktions- und Handelskonzern eBay, der vor ein paar Wochen ein Büro in der Stadt eröffnet hat. Mitarbeiter rekrutierte er direkt auf dem Campus der technischen Universität. [...]
Wie begehrt gut ausgebildete junge Inder nach wie vor bei IT-Unternehmen sind, das zeigt die Karriere von Akshay Kumar. Der 30-Jährige hat Informatik und Business Analytics studiert und war nach dem Studium mehrere Jahre bei Amazon in Bangalore angestellt, mittlerweile arbeitet er bei American Express. "Aus meinem Freundeskreis ist kaum jemand ins Ausland gegangen", erzählt er. "Die meisten hatten mehrere Jobangebote in Indien, von großen Unternehmen, national und international."
Dazu kommt, dass es weniger attraktiv geworden ist, für einen Job in die USA zu ziehen. Das liegt an der unberechenbaren Politik der Trump-Regierung. Im September hatte sie beispielsweise angekündigt, dass ein spezielles Visum für Facharbeiter aus dem Ausland, das vor allem Inder genutzt hatten, zukünftig 100.000 Dollar kosten sollte. Für Akshay Kumar kein großes Thema. Er möchte sowieso lieber in der indischen Heimat bleiben. Und wünscht sich auch mehr heimische KI-Produkte, "unsere eigene Version von ChatGPT oder DeepSeek". [...]
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