Freitag, 2. Mai 2025

Gratisbildung - Wer profitiert?

 "[...] Beim ersten Hinhören klingt das, was in Japan künftig gilt, wie ein Coup für alle: Die Schulgebühren, die den meisten Familien im Land bisher immer starke Kopfschmerzen bereitet haben, werden zu einem Ding der Vergangenheit. Staatliche Unterstützung haben bisher nur solche Familien erhalten, die ein Jahreseinkommen von weniger als 9,1 Millionen Euro erzielten, umgerechnet rund 56 000 Euro. In Zukunft ändert sich das.

Mit dem neuen Finanzjahr, das in Japan wie immer im April begonnen hat, wird die Schuldbildung schrittweise für Schulkinder de facto kostenlos. Jede Familie erhält nun pro Jahr eine Einmalzahlung von 118 000 Yen für den Kauf von Schuluniformen, Reisen und den öffentlichen Transport. Ab 2026 soll zudem das Mittagessen in Schulen gratis werden. Außerdem finanziert der Staat Kindern die Schulgebühr. Die Nachrichtenagentur Kyodo fasst zusammen: „Schulbildung wird praktisch gratis.“

Für Japan ist es eine Entwicklung, die die meisten vor einigen Jahren noch für schier unglaublich gehalten hätten. Zwar hat das ostasiatische Land schon lange einen recht großzügigen Wohlfahrtsstaat, was die Übernahme von Kosten für Pflege oder Gesundheit angeht. Im Bildungssektor aber waren Familien bisher weitgehend auf sich selbst gestellt. Diese Reform hat für das Land womöglich revolutionäres Ausmaß, wie Vincent Lesch erklärt, Japanologe und Bildungsexperte an der Universität Heidelberg: „Das bedeutet, dass aus finanzieller Sicht die Zugänglichkeit für Schulen deutlich höher wird, also die Schranken sind niedriger.“ Und: „Jetzt kann wirklich jeder, vom Maurer bis zum Bankier, sein Kind an eine städtische Schule und auch an eine private schicken und sich die Schulgebühren erstatten lassen kann. Und das bringt natürlich jetzt Bewegung rein.“ [...] Was von Fachleuten als Schritt in die richtige Richtung gelobt wurde, bewegt sich aber noch immer deutlich unterhalb dessen, was Eltern in Deutschland vom Staat erhalten. Nur ist Japans öffentlicher Sektor mit mehr als 220 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet, mehr als in jedem anderen Industriestaat. Dies, so Kritiker:innen, begrenze den Spielraum für die Regierung.

Nur begannen in den vergangenen Jahren die Metropolregierungen von Tokio und Osaka mit ersten Schritten, Familien endlich auch bei den Schulgebühren zu unterstützen. Und bis jetzt gelten die Schritte als erfolgreich. So sah sich die nationale Regierung unter Zugzwang, entsprechende Bedingungen im ganzen Land zu schaffen. Zumal die konservative Liberaldemokratische Partei bei der Parlamentswahl Ende 2024 die Mehrheit verlor – und nun als Minderheitsregierung Kompromisse eingehen muss. [...]

Nun wird der Druck steigen, dass sich die begehrten Privatschulen öffnen. Wie sich die Gebührenfreiheit mittelfristig auf das Schulwesen auswirkt, wird sich noch zeigen. Skeptiker:innen erwarten, dass inmitten der schrumpfenden Bevölkerung als erstes öffentliche Schulen leiden, weil dort die Zahl der Anmeldungen abnehmen dürfte. Mehrere japanische Zeitungen befürchten zudem, dass später dann renommiertere Privatschulen ihre Gebühren anheben – was vor allem für den Staat teuer werden würde."

https://www.fr.de/panorama/japan-sorgt-gratis-schulbildung-fuer-mehr-kinder-93708581.html

FR 2.5.2025

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