Das ist Spermalotterie ZEIT 18.4.25
"[...] Martyna Linartas: Über Geld und Erben spricht man nicht, sogar wenn es turbulent wird. Das zeigt jetzt auch der deutsche Koalitionsvertrag. Allein das ist doch hochinteressant: Die Forschungsdiskussionen über die Bedeutung des Erbens für die Demokratie sind lebhaft. Aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse sickern nicht in Politik und Gesellschaft ein. Und das, obwohl Deutschland neben Ländern wie den USA und Mexiko zu einer der ungleichsten Demokratien der Welt zählt und sich von einer Leistungsgesellschaft zu einer Erbengesellschaft entwickelt hat, in der weniger als die Hälfte aller privaten Vermögen im Laufe des eigenen Lebens aufgebaut wurde. Der größere Teil des Vermögens besteht aus Erbschaften und Schenkungen. Es läge in einer Demokratie nahe, dass die Mehrheitsgesellschaft gegen diese Ungerechtigkeit protestiert und dass sie wie die Wissenschaft nach Besteuerung oder Abgaben ruft. Aber das tut sie nicht.
ZEIT: Und warum nicht?
Linartas: In Deutschland versteht man Vermögen als familiäre Privatsache, aus der der Staat
sich heraushalten soll, und viele fürchten, dass das mühsam verdiente Eigenheim der Familie
im Erbfall besteuert würde. Aber das ist eine Informationslücke! Denn in Wirklichkeit ist das Familienhaus steuerfrei, und erst ab einer halben geerbten Million für Ehepartner und
400.000 Euro für Kinder werden Steuern fällig.
ZEIT: Also nur für eine kleine Minderheit.
Linartas: Nur etwa 30 Prozent der Deutschen erben Summen von über 100.000 Euro. Die
Hälfte erbt nichts oder sogar Schulden – die sie zum Glück ausschlagen können. Es fehlt in
Fragen von Erbschaften und dem Zusammenhang mit Demokratie und Ungleichheit oft an
Wissen. Und hinzu kommt, dass Steuern als Last für die Wirtschaft oder als Raub an
Privatvermögen gelten. Das ist eine Nachwirkung des neoliberalen Zeitgeistes, den die
westlichen Demokratien noch nicht abgeschüttelt haben. Dabei galten Steuern
hierzulande seit der Weimarer Republik auch bei Konservativen immer wieder als
das wichtigste Instrument der Demokratie und nach dem Krieg auch bei den
Liberalen. [...]
ZEIT: Erbe ist "unverdientes Einkommen", so hat es der Philosoph John Stuart Mill schon im 19. Jahrhundert festgestellt. Was ist für Sie verdient – und was unverdient?
Linartas: Verdient ist, wofür man selbst arbeitet, also klassisch die Lohnarbeit, für die man
ein Einkommen bezieht. Wenn ich es schaffe, davon etwas zur Seite zu legen, und so im
Verlauf eines Lebens ein Vermögen entstehen kann, dann ist es verdient. Unverdient ist, was
nicht durch Arbeit entstand, was einem ohne eigenes Zutun nur durch die Geburt als Erbe in
den Schoß fällt – wie im Feudalismus und in Monarchien. Je reicher man ist, desto mehr
arbeitet das Vermögen. Ich würde deshalb auch sagen: Was nur das Vermögen selbst an Wertzuwächsen schafft, ist kein Resultat der eigenen Arbeit mehr. Diese Zuwächse werden in Deutschland niedriger besteuert als das Arbeitseinkommen.# ZEIT: Dieses Argument ist am Individuum und seiner Leistung orientiert. Zeigt nicht die deutsche Wiedervereinigung, dass
es auf mehr als aufs Elternhaus ankommt?
Linartas: Allerdings. Nachdem die Treuhand ab 1990 die DDR privatisiert hatte, waren 85
Prozent des einstigen "Volkseigentums" in westdeutschen Händen, 10 Prozent in
internationalem Besitz – und nur 5 Prozent wurden ostdeutsches Eigentum. Das Privileg der
premium citizenship entsteht eben nicht nur durch den Zufall der Eltern, die ein Mensch hat,
sondern außerdem durch das Land, die Region der Welt, in die man zufällig geboren wird.
Darüber muss offen gesprochen werden. Die dominierende Erzählung, jeder sei seines
Glückes Schmied und könne durch Leistung alles schaffen, wirkt sonst auf die Menschen wie eine Tyrannei, so hat es der Philosoph Michael Sandel ausgedrückt. Darin liegt die Gefahr für die Demokratie. Die Motivation für Leistung geht flöten, wenn man merkt, dass sie nicht zu
Wohlstand führt. Es schwindet die Lust, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Viele sehen
sich nicht repräsentiert, und ihre Interessen werden in einer Politik für Wohlhabende
tatsächlich nicht vertreten."
[...] ZEIT: Sie plädieren unter anderem dafür, dass im Erbfall einfach alles Vermögen oberhalb eines Freibetrags von einer Million Euro plus eigener Immobilie besteuert wird wie Einkommen. Vor allem aber votieren Sie für ein Grunderbe, das jeder Bürger, jede Bürgerin erhalten sollte. Inwiefern wäre denn ein Grunderbe verdient?
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