Donnerstag, 17. April 2025

Weshalb wird so wenig über Erben gesprochen?

Das ist Spermalotterie ZEIT 18.4.25

"[...] Martyna Linartas: Über Geld und Erben spricht man nicht, sogar wenn es turbulent wird. Das zeigt jetzt auch der deutsche Koalitionsvertrag. Allein das ist doch hochinteressant: Die Forschungsdiskussionen über die Bedeutung des Erbens für die Demokratie sind lebhaft. Aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse sickern nicht in Politik und Gesellschaft ein. Und das, obwohl Deutschland neben Ländern wie den USA und Mexiko zu einer der ungleichsten Demokratien der Welt zählt und sich von einer Leistungsgesellschaft zu einer Erbengesellschaft entwickelt hat, in der weniger als die Hälfte aller privaten Vermögen im Laufe des eigenen Lebens aufgebaut wurde. Der größere Teil des Vermögens besteht aus Erbschaften und Schenkungen. Es läge in einer Demokratie nahe, dass die Mehrheitsgesellschaft gegen diese Ungerechtigkeit protestiert und dass sie wie die Wissenschaft nach Besteuerung oder Abgaben ruft. Aber das tut sie nicht. 

ZEIT: Und warum nicht?

Linartas: In Deutschland versteht man Vermögen als familiäre Privatsache, aus der der Staat

sich heraushalten soll, und viele fürchten, dass das mühsam verdiente Eigenheim der Familie

im Erbfall besteuert würde. Aber das ist eine Informationslücke! Denn in Wirklichkeit ist das Familienhaus steuerfrei, und erst ab einer halben geerbten Million für Ehepartner und 

400.000 Euro für Kinder werden Steuern fällig.

ZEIT: Also nur für eine kleine Minderheit.

Linartas: Nur etwa 30 Prozent der Deutschen erben Summen von über 100.000 Euro. Die 

Hälfte erbt nichts oder sogar Schulden – die sie zum Glück ausschlagen können. Es fehlt in 

Fragen von Erbschaften und dem Zusammenhang mit Demokratie und Ungleichheit oft an 

Wissen. Und hinzu kommt, dass Steuern als Last für die Wirtschaft oder als Raub an 

Privatvermögen gelten. Das ist eine Nachwirkung des neoliberalen Zeitgeistes, den die 

westlichen Demokratien noch nicht abgeschüttelt haben. Dabei galten Steuern 

hierzulande seit der Weimarer Republik auch bei Konservativen immer wieder als 

das wichtigste Instrument der Demokratie und nach dem Krieg auch bei den 

Liberalen. [...]

ZEIT: Erbe ist "unverdientes Einkommen", so hat es der Philosoph John Stuart Mill schon im 19. Jahrhundert festgestellt. Was ist für Sie verdient – und was unverdient?

Linartas: Verdient ist, wofür man selbst arbeitet, also klassisch die Lohnarbeit, für die man 

ein Einkommen bezieht. Wenn ich es schaffe, davon etwas zur Seite zu legen, und so im 

Verlauf eines Lebens ein Vermögen entstehen kann, dann ist es verdient. Unverdient ist, was 

nicht durch Arbeit entstand, was einem ohne eigenes Zutun nur durch die Geburt als Erbe in 

den Schoß fällt – wie im Feudalismus und in Monarchien. Je reicher man ist, desto mehr 

arbeitet das Vermögen. Ich würde deshalb auch sagen: Was nur das Vermögen selbst an Wertzuwächsen schafft, ist kein Resultat der eigenen Arbeit mehr. Diese Zuwächse werden in Deutschland niedriger besteuert als das Arbeitseinkommen.# ZEIT: Dieses Argument ist am Individuum und seiner Leistung orientiert. Zeigt nicht die deutsche Wiedervereinigung, dass 

es auf mehr als aufs Elternhaus ankommt?

Linartas: Allerdings. Nachdem die Treuhand ab 1990 die DDR privatisiert hatte, waren 85 

Prozent des einstigen "Volkseigentums" in westdeutschen Händen, 10 Prozent in 

internationalem Besitz – und nur 5 Prozent wurden ostdeutsches Eigentum. Das Privileg der 

premium citizenship entsteht eben nicht nur durch den Zufall der Eltern, die ein Mensch hat, 

sondern außerdem durch das Land, die Region der Welt, in die man zufällig geboren wird. 

Darüber muss offen gesprochen werden. Die dominierende Erzählung, jeder sei seines 

Glückes Schmied und könne durch Leistung alles schaffen, wirkt sonst auf die Menschen wie eine Tyrannei, so hat es der Philosoph Michael Sandel ausgedrückt. Darin liegt die Gefahr für die Demokratie. Die Motivation für Leistung geht flöten, wenn man merkt, dass sie nicht zu 

Wohlstand führt. Es schwindet die Lust, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Viele sehen

 sich nicht repräsentiert, und ihre Interessen werden in einer Politik für Wohlhabende 

tatsächlich nicht vertreten."

[...] ZEIT: Sie plädieren unter anderem dafür, dass im Erbfall einfach alles Vermögen oberhalb eines Freibetrags von einer Million Euro plus eigener Immobilie besteuert wird wie Einkommen. Vor allem aber votieren Sie für ein Grunderbe, das jeder Bürger, jede Bürgerin erhalten sollte. Inwiefern wäre denn ein Grunderbe verdient? 
Linartas: Die ursprüngliche Idee geht zurück auf Thomas Paine, im 18. Jahrhundert einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten. Er war nicht nur von den Gleichheitsidealen der Aufklärung überzeugt, sondern er fand wie Rousseau, im Naturzustand seien alle Menschen gleich geboren, und erst die Zivilisation habe für Ungleichheit und Ungerechtigkeit gesorgt. Große Vermögen sind nun einmal immer dadurch aufgebaut worden, dass sie gesellschaftlich ermöglicht wurden. Sie sind die Leistung einer Gesellschaft, nicht die von Einzelnen. Ein Grunderbe einzuführen, wäre eine solche gesellschaftliche Leistung. Die Höhe würde, in Anlehnung an den Vorschlag des Rockstars der Ungleichheitsforschung Thomas Piketty, 60 Prozent des Durchschnittsvermögens betragen. Für Deutschland wären das aktuell etwa 190.000 Euro. Bezahlt würde das Grunderbe durch eine Reform der Erbschaftsteuer und weitere Reformen im Steuersystem. Es ist nicht nur das Instrument, das am besten geeignet ist, die extreme Vermögensungleichheit zu reduzieren, indem von unten Vermögen aufgebaut wird. Sondern es kann auch zum Ausdruck bringen, dass in einer Demokratie, unabhängig von Geburt und Besitz, jeder ein unverzichtbarer Teil der Gesellschaft ist.
ZEIT: Aber ist denn jeder begabt, Vermögen aufzubauen, oder ist das nicht Teil des kulturellen Kapitals eines Elternhauses? 
Linartas: Wir sollten das Grunderbe nach und nach einführen, damit jeder genug Zeit und die Chance hat zu lernen, mit Geld umzugehen, und es nicht einfach verpulvert. Übrigens ist es auch deshalb wichtig, die Ungleichheit der Vermögen zu verkleinern, damit Menschen, die etwas auf dem Kasten haben, lieber im Finanzministerium anheuern als in der Wirtschaft, in der man viel besser verdient."

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