Freitag, 18. April 2025

Siegfried Unseld

Bezug:

https://www.zeit.de/kultur/literatur/2025-04/siegfried-unseld-nsdap-entnazifizierung-spruchkammerverfahren

 https://www.zeit.de/2025/16/siegfried-unseld-nsdap-mitgliedschaft-reaktionen-suhrkamp

https://www.zeit.de/2025/16/siegfried-unseld-nsdap-suhrkamp-literatur

Siegfried Unseld ist mit 17 Jahren in die NSDAP eingetreten und hat über Jahrzehnte hin, wo er die "Suhrkampkultur" vorantrieb, die mit Fug und Recht auch Suhrkamp-Unseld-Kultur heißen könnte, nicht öffentlich bekannt gemacht. Heute wird darüber u.a. gesagt: Er hat es "beschwiegen" so wie Günter Grass seine Waffen-Mitgliedschaft (die er nie verheimlicht, aber auch jahrzehntelang nicht öffentlich bekannt gemacht hat). 

Als er dann in seinem Werk Beim Häuten einer Zwiebel darüber schrieb, war die Reaktion eine gemischte. 

Zur Kritik: "Joachim Fest äußerte sein Unverständnis, „wie sich jemand 60 Jahre lang ständig zum schlechten Gewissen der Nation erheben kann, gerade in Nazi-Fragen – und dann erst bekennt, dass er selbst tief verstrickt war“.[62] Verschiedene Autoren, vor allem solche aus dem Kreis der Neuen Frankfurter Schule, überzogen Grass aufgrund des hier behandelten Anlasses in dem Sammelband Literatur als Qual und Gequalle. Über den Literaturbetriebsintriganten Günter Grass mit heftiger Polemik hinsichtlich seiner Person, wie auch der Qualität seines Werkes.63(Wikipedia)

Der Abschnitt "Zugehörigkeit zur Waffen-SS" in der Wikipedia von heute umfasst 641 Wörter. Unter anderem wird dabei angesprochen, dass das Nobelpreiskomitee der Forderung, ihm den Nobelpreis abzuerkennen, nicht nachgekommen sei. 

Wenn ein Nobelpreisträger, der zur Waffen-SS eingezogen wurde, nicht freiwillig eingetreten (!) war, solcher Polemik ausgesetzt wurde, womit musste ein Unternehmer rechnen, dessen Verlag sein Renommee wesentlich daraus bezog, dass er "die deutschen Bücherregale mit der Gegenwart jener deutsch-jüdischen intellektuellen uns stimulierenden Kraft erfüllt hat, welche der Nazismus auslöschen wollte"[104]?

Nicht Unselds Biographie muss aufgrund der Entdeckung seines NSDAP-Beitritts an einem wesentlichen Punkt neu geschrieben werden, sondern es ist Zeit, darüber nachzudenken, wie sehr Skandalisierung eine besonnene Reflexion darüber verhindert hat, was zeitbedingt ("Zeitgeist") ist (war) und was wesentlich zur Charakterisierung eine Person beiträgt. 

Unseld konnte darauf rechnen, dass Vertreter der Suhrkampkultur wie etwa Jürgen Habermas seinen Ruf auch nach seinem Ableben zu schützen wissen würden. Zu seinen Lebzeiten hätte ihn eine solche Diskussion wesentliche Kraft gekostet, die er für andere Arbeit brauchte, und womöglich hätte sich (in falsch verstandener "Rechtschaffenheit") auch mancher würdige Vertreter dieser Kultur von seinem Verlag abgewendet wie später - aus anderen Gründen - etwa Adolf Muschg, der die Person Unseld jetzt aus guten Gründen verteidigt. 

Natürlich sind der Klimawandel, die ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung national und international und die daraus erwachsende Gefährdung der Demokratie wichtigere Themen, selbst Trumps tägliches Bemühen, auf sich aufmerksam zu machen, darf man nicht ganz außer Acht lassen, weil damit große Gefährdungen des Friedens und der Weltwirtschaft einhergehen, aber dass in aufs Ganze gesehen seriösen Medien solch krasse Fehlbewertungen auftreten, trägt dazu bei, dass differenzierte Urteile immer weiter aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt werden. Und die Suhrkampkultur war ein ganz wesentlicher Beitrag zum Strukturwandel der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik. Es ist nicht nur Nostalgie, wenn man ihren Niedergang beklagt. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen