Donnerstag, 16. August 2018

Ein Kanon notwendigen Wissens?

Über den Gedanken, überhaupt einen Kanon zu entwickeln, habe ich an anderer Stelle geschrieben. Hier geht es um einzelne Werke, die Thomas Kerstan empfiehlt:

Wilhelm Bockler: Der Reibert. Das Handbuch für den Soldaten
Kundenrezension
Handgranatenwurf als Bildungsgut? Ich würde dagegen halten:
Patrick Kingsley: Die neue Odyssee. Eine Geschichte der europäischen Flüchtlingskrise, München 2016

Paul Spiegel: Was ist koscher?
So viel von der Weltgeschichte kommt in dem Kanon von Thomas Kerstan nicht vor und dann zu einem gank kleinen Volk ein ganzes Buch und das nur zu seinen Essensbräuchen? Das kann doch nicht wahr sein. Ist es auch nicht. Denn die Frage steht nur als Beispiel für viele Fragen über das Judentum, auf die die wenigsten Nicht-Juden eine Antwort wissen und wenn, dann meist eine unzutreffende. Aber auch sehr viele Juden würden wohl nicht alle Fragen beantworten können.
Weshalb steht das Buch im Kanon? 
1. Weil das jüdische Volk die Grundlage für die drei abrahamitischen monotheistischen Religionen schuf: Judentum, Christentum und Islam.
2. Weil diesem Volk die Bewahrung seiner Kultur über ca. 4000 Jahre gelang und das, obwohl es ca. 2000 Jahre weltweit zerstreut war. (Spiegel, S.162)
3. Weil an ihm der ungeheuerlichste Versuch eines Völkermordes unternommen wurde. 
Und damit ist man beim nächsten Buch.

Art Spiegelmann: Maus - Die Geschichte eines Überlebenden,1993
Dies Buch ist m.E. eine gute Wahl. Das wird aus dem englischen Wikipediaartikel, der verlinkt ist, besser klar als aus dem deutschen
Ich selbst ziehe den Film Shoa und die Werke Primo Levis vor, aber das ist sehr subjektiv.*  

Joyce: Ulysses
ist gewiss als Provokation gemeint und dient vermutlich vor allem dem Hinweis darauf, dass die Erfahrung, dass der Zugang zu großer Literatur sehr schwer sei kann.
Für die Praxis sinnvoller wären wohl Ausschnitte aus dem Ulysses, aus Musils Mann ohne Eigenschaften, Melvilles Moby Dick und Schmidt Zettl's Traum und und und

Emine Sevgi Özdamar: Mutterzunge
Eine Anregung, die ich sehr begrüßt habe, da ich das Buch noch nicht kannte.

Gudrun Krämer: Geschichte des Islam
Reichten dafür nicht auch einige Wikipediaartikel mit den zugehörigen Links? -
Natürlich enthält das Buch viel, was die nicht enthalten. Und die Lektüre eine Buches prägt sich besser ein als die von Wikipediaartikeln. (Außerdem machen die sich schlecht auf einer Liste neben Goethes Faust.) Und welcher ernsthafte Leser schlägt sich heute schon durch einen Wust von Namen und Fachausdrücken, ohne gelegentlich in der Wikipedia nachzusehen.

Zur Ergänzung:
Einen Hinweis, dass es ein völliges Missverständnis ist, wenn man von einem islamischen Mittelalter spricht, "weil sich die Transformationsprozesse in der Spätantike in Europa und in Vorderasien auf ganz unterschiedliche und häufig gegensätzliche Weise vollzogen" und weil er "den Blick auf die wirklichen Epochengrenzen" verstelle, gibt Thomas Bauer hier. Man versteht nicht die Epochengrenzen, wenn man sich nicht klar macht, dass während des Aufstiegs des Islam zur Weltreligion für diesen Raum das römische Reich und damit die Verbindung zur Antike fortbestand und dass der Mittlere Osten (Middle East) eben nicht am östlichen Rand (Orient) des damals wichtigen Kulturraums war, sondern eher im Zentrum, wo die Seidenstraße "den Mittelmeerraum auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband" (Seidenstraße) und der kulturelle Austausch am intensivsten war. (Man bedenke, dass das mongolische Reich, das sich zu seinem Höhepunkt von Europa bis Ostasien erstreckte, rund 150 Jahre das größte Weltreich war und erst nach rund 500 Jahren ganz unterging. In den 150 Jahren lag Europa "am westlichen Rand".

Er geht auf den "Grenzverkehr" zwischen den Kulturen ein, den er als Kind erlebte. Auch ihm geht es wie Özdamar um Brückenbauen.
Ich könnte jedes Wort* unterschreiben, aber auch hier: De facto wäre für einen realen Kanon eine Auswahl aus diesem Werk (wie die von Jens aus Ilias und Odyssee) besser. Denn zusammen mit "Wir neuen Deutschen" vier Bücher zu Multikulturalität und Integration sind vielleicht angesichts der fehlenden anderen Perspektive (z.B. Münkler: Die neuen Deutschen) und anderen wichtigen Problemen etwas viel und arg tagesaktuell?

Jared DiamondArm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, 1998  -     dazu stellt sich (bei Kerstan nicht genannt): DiamondKollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen2005

Minecraft ist ein Open-World-Spiel ohne ein fest vorgegebenes Spielziel.[20] Das Hauptaugenmerk liegt auf der Erkundung und Entdeckung der von Höhlen und Dungeons durchzogenen Spielwelt sowie dem Bau eigener Gebäude und Vorrichtungen. Der Spieler kann Rohstoffe abbauen („Mine“), diese zu anderen Gegenständen weiterverarbeiten („Craft“) und gegen Monster kämpfen. (Wikipedia)

Wird fortgesetzt und vermutlich auch ergänzt, z.B. durch Links.
Empfehlungen:
Gödel, Escher, Bach – ein Endloses Geflochtenes Band (MIT-Kurs dazu)

*Ich bin vermutlich zu alt, um mich in die Kunstform Comic einzugewöhnen, da es bei der Oper trotz früher Wertschätzung einiger Mozartopern (der Musik, nicht der Aufführungen) Jahrzehnte gedauert hat und bei Kriminalfilmen und -romanen nach Jahrzehnten nicht gelungen ist.
* Das gilt freilich nur für den allgemeinen Teil bis S.68. Ab da spricht er aufgrund von Kenntnissen, die mir fehlen, für mein Empfinden des öfteren zu undifferenziert. Aufgrund der mutigen Differenzierungen, die er aber immer wieder vornimmt, hat er für mich die moralische Autorität, dass ich ihm abnehme, dass seine Aussagen gerechtfertigt sind. Für mein Empfinden geht er bei der Beurteilung handelnder Personen gelegentlich zu weit. Die moralischen Kriterien, die er anwendet, teile ich aber. 

zur Fortsetzung

Unterrichtsmaterial zum Thema Bildungskanon (ZEIT)

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