Donnerstag, 3. November 2016

Machtübergabe an die Banken

Die Straße der Tyrannen Von Kerstin Kohlenberg, Mark Schieritz und Wolfgang Uchatius ZEIT 3.11.2011
 "In der Wall Street treffen jeden Tag die Herrscher der Welt aufeinander: Hier verwandeln Börsenhändler Zahlen mit vielen Nullen in Schicksale von Menschen, Ländern und Kontinenten. Wissen sie, was sie tun?"
[...] Seit dem Beginn der großen Finanzkrise im Jahr 2008 zeigt sich die Politik nicht mehr gerne mit den Herren des Geldes. Wer sich weiterhin den Banken nähert, läuft Gefahr, sich von den Wählern zu entfernen. Stimmen holt, wer die Banken bändigt.
Das war mal anders. Jahrelang haben Präsidenten, Premierminister und Kanzler aller großen Industrieländer Gesetze erlassen, die nur eines zum Ziel hatten: die Zahlenfabriken auszubauen. Ihnen mehr Freiheiten zu geben. Ihnen noch mehr Geld zuzuführen.
1986: Die britische Premierministerin Margaret Thatcher liberalisiert das Börsengeschäft. Gebührenordnungen und Zulassungsgrenzen fallen weg. Der Wertpapierhandel wird einfach und billig wie nie. Big Bang heißt das Gesetzespaket heute, weil es den Aufstieg Londons zur Finanzmacht begründet.
1999: Der amerikanische Präsident Bill Clinton hebt den Glass-Steagall Act auf. Das Gesetz aus den dreißiger Jahren hatte den Banken untersagt, klassisches Kreditgeschäft und Investmentbanking zugleich zu betreiben. Jetzt dürfen alle an den Börsen mitspekulieren.
2001: Die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC senkt den kleinsten zu handelnden Wert von 16 Cent auf einen Cent. Durch diese Änderung erschafft sie das Geschäftsmodell der Hochgeschwindigkeitshändler. Deren Computer handeln genau in diesem Centbereich, millionenfach pro Minute. Wenige Monate später wird Hudson River Trading mit fünf Mitarbeitern gegründet.
2001: In Deutschland führt die rot-grüne Bundesregierung die Riester-Rente ein. Bislang ist allein der Staat für die Altersvorsorge zuständig. Das Geld der Jungen reicht er weiter an die Alten. Künftig sollen sich die Deutschen auch privat absichern. Ein Milliardengeschäft für die Finanzbranche. Sie legt das Geld der Bürger an der Börse an.
2004: In Deutschland werden Hedgefonds für Privatanleger zugelassen. Bislang waren diese hochspekulativen Fonds verboten.
2005: Die Bundesregierung verabschiedet ein Gesetz, das es Aktiengesellschaften erlaubt, ihre Anteile an anderen Unternehmen steuerfrei zu verkaufen. Die wechselseitigen Verflechtungen der deutschen Unternehmen werden aufgebrochen, mehr und mehr Aktien frei gehandelt – mehr und mehr Firmen sind der Macht der Zahlen ausgesetzt.
2005: In den USA führen alle Börsen den elektronischen Handel ein. Hudson River Trading beschäftigt jetzt 70 Mitarbeiter.
Die Finanzmärkte haben die Macht nicht übernommen. Sie wurde ihnen übergeben. Warum nur hat sich die Politik darauf eingelassen?
(Hervorhebungen von Fontanefan)

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