Sonntag, 29. Juni 2025

Gebärdensprache

Gebärdensprache (Wikipedia)

Deutsche Gebärdensprache (DGS)

American Sign Language (ASL) Amerikanische Gebärdensprache

IS: https://de.wikipedia.org/wiki/International_Sign

Liste von Gebärdensprachen https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Geb%C3%A4rdensprachen

Freitag, 27. Juni 2025

Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville

 "[...] Als das Gespenst ein kleines geheimes Zimmer im linken Schloßflügel erreicht hatte, lehnte es sich erschöpft gegen einen Mondstrahl, um erst wieder zu Atem zu kommen, und versuchte sich seine Lage klarzumachen. Niemals war es in seiner glänzenden und ununterbrochenen Laufbahn von dreihundert Jahren so gröblich beleidigt worden. Es dachte an die Herzogin-Mutter, die bei seinem Anblick Krämpfe bekommen hatte, als sie in ihren Spitzen und Diamanten vor dem Spiegel stand; an die vier Hausmädchen, die hysterisch wurden, als es sie bloß durch die Vorhänge eines der unbewohnten Schlafzimmer hindurch anlächelte; an den Pfarrer der Gemeinde, dessen Licht es eines Nachts ausgeblasen, als derselbe einmal spät aus der Bibliothek kam, und der seitdem beständig bei Sir William Gull, geplagt von Nervenstörungen, in Behandlung war; an die alte Madame du Tremouillac, die, als sie eines Morgens früh aufwachte und in ihrem Lehnstuhl am Kamine ein Skelett sitzen sah, das ihr Tagebuch las, darauf sechs Wochen fest im Bett lag an der Gehirnentzündung und nach ihrer Genesung eine treue Anhängerin der Kirche wurde und jede Verbindung mit dem bekannten Freigeist Monsieur de Voltaire abbrach.

Es erinnerte sich der entsetzlichen Nacht, als der böse Lord Canterville in seinem Ankleidezimmer halb erstickt gefunden wurde mit dem Karo-Buben im Halse, und gerade noch, ehe er starb, beichtete, daß er Charles James Fox vermittels dieser Karte bei Crockfords um 50+000 Pfund Sterling betrogen hatte und daß ihm nun das Gespenst die Karte in den Hals gesteckt habe.

Alle seine großen Taten kamen ihm ins Gedächtnis zurück, von dem Kammerdiener an, der sich in der Kirche erschoß, weil er eine grüne Hand hatte an die Scheiben klopfen sehen, bis zu der schönen Lady Stutfield, die immer ein schwarzes Samtband um den Hals tragen mußte, damit die Spur von fünf in ihre weiße Haut eingebrannten Fingern verdeckt wurde, und die sich schließlich in dem Karpfenteich am Ende der Königspromenade ertränkte. Mit dem begeisterten Egoismus des echten Künstlers versetzte es sich im Geiste wieder in seine hervorragendsten Rollen und lächelte bitter, als es an sein letztes Auftreten als ›Roter Ruben oder das erwürgte Kind‹ dachte, oder sein Debüt als ›Riese Gibeon, der Blutsauger von Bexley Moor‹, und das Furore, das es eines schönen Juliabends gemacht hatte, als es ganz einfach auf dem Tennisplatz mit seinen eigenen Knochen Kegel spielte. Und nach alledem kommen solche elenden modernen Amerikaner, bieten ihm Rising-Sun-Öl an und werfen ihm Kissen an den Kopf! Es war nicht auszuhalten. So war noch niemals in der Weltgeschichte ein Gespenst behandelt worden. Es schwur demgemäß Rache und blieb bis Tagesanbruch in tiefe Gedanken versunken. [...]"

Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville


Oscar Wilde ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie man die moralischen Kriterien eine Gesellschaft als völlig haltlos durchschauen und kritisieren kann und sich ins Unglück bringen kann, indem man eben diese Kriterien für sich handlungsleitend macht. 

Weil er durch den Vorwurf, er sei homosexuell, seine Ehre angegriffen fühlte, forderte er heraus, dass der gerichtsfähige Beweis für seine Homosexualität erbracht wurde. Das führte nach den Rechtsgrundsätzen der damaligen Gesellschaft zu der zweijährigen Zuchthausstrafe zu den - nach heutigen Kriterien menschrechtsunwürdigen - Bedingungen der damaligen Zeit, die sein Leben als anerkannter Schriftsteller und seine Gesundheit zerstörten.

EU-Parlament klagt gegen von der Leyens Rüstungsplan

 150 Milliarden Euro für Rüstung – beschlossen im Eilverfahren, ohne das Parlament. Jetzt ziehen EU-Abgeordneten gegen die Vorgehensweise der EU-Kommission vor Gericht.

Berliner Zeitung 25.6.25

Bahnsanierung verlängert: Vom Zug zum Bus

 https://www.jungewelt.de/artikel/502810.bahnsanierung-vom-zug-zum-bus.html

Junge welt 27.6.25

Warum ist der NATO-Russlandrat gescheitert?

Man könnte behaupten: Mit der NATO-Russland-Grundakte von 1997 wurde versucht, eine Zusammenarbeit mit Russland zu begründen. Allerdings war mit der Partnerschaft für den Frieden schon 1994 eine Einladung an alle an einer Zusammenarbeit mit der NATO interessierten Staaten erfolgt. Somit war ein Weg zu einer privilegierten Partnerschaft zwischen Russland und der NATO erschwert.  Doch erst die Nato-Osterweiterung von 1999 um die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn hat dann den Weg zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von  Russland mit der NATO versperrt.

Eine KI sieht es merklich anders:

"Der NATO-Russland-Rat (NRR), der 2002 als Forum für Konsultation, Konsensbildung, Kooperation und gemeinsame Entscheidungen zwischen den NATO-Staaten und Russland gegründet wurde, ist de facto gescheitert. Sein Scheitern ist auf eine Reihe grundlegender und zunehmend unüberbrückbarer Differenzen zurückzuführen, die sich über die Jahre verschärft haben und letztlich im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 kulminierten.

Die Hauptgründe für das Scheitern sind:

  1. Fundamentale Meinungsverschiedenheiten über die europäische Sicherheitsordnung:

    • NATO-Erweiterung: Russland sah die NATO-Osterweiterung (Aufnahme ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten und ehemaliger Sowjetrepubliken) als Bedrohung und Bruch westlicher Zusagen (auch wenn es keine rechtsverbindlichen Zusagen gab). Die NATO hingegen verteidigte das Recht souveräner Staaten, ihre Bündnisse frei zu wählen. Diese Frage war ein permanenter Streitpunkt.

    • Russlands Anspruch auf Einflusssphären: Russland forderte die Anerkennung einer exklusiven Einflusssphäre in seinem "nahen Ausland" (ehemalige Sowjetrepubliken) und den ehemaligen kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas. Die NATO lehnte dies ab und betonte die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten.

    • Konflikt über das Prinzip der kollektiven Sicherheit: Russland argumentierte, dass seine Sicherheitsinteressen Vorrang vor der Sicherheit anderer europäischer Länder hätten, was dem NATO-Prinzip der gleichen Sicherheit für alle Mitgliedstaaten widersprach.

  2. Mangel an Vertrauen und unterschiedliche Interpretationen von Ereignissen:

    • Kosovo-Krieg (1999): Die NATO-Intervention im Kosovo ohne UN-Mandat wurde von Russland scharf kritisiert und als Verstoß gegen das Völkerrecht und Einmischung in innere Angelegenheiten angesehen. Dies schadete dem Vertrauen erheblich.

    • Georgienkrieg (2008): Russlands militärisches Vorgehen in Georgien führte zu einer ersten größeren Aussetzung der NRR-Sitzungen und zeigte die Eskalationsbereitschaft Moskaus zur Durchsetzung seiner Interessen.

    • Annexion der Krim und Krieg im Donbas (2014): Dies war ein entscheidender Wendepunkt. Russlands Annexion der Krim und die Unterstützung von Separatisten in der Ostukraine führten zur Suspendierung der praktischen Zusammenarbeit der NATO mit Russland und zu einem faktischen Einfrieren des NRR, obwohl die politische Kommunikation punktuell auf Botschafterebene beibehalten wurde. Die NATO verurteilte diese Aktionen als klaren Bruch des Völkerrechts.

  3. Fehlende gemeinsame Interessen und Werte:

    • Obwohl es anfänglich Kooperationen in Bereichen wie Terrorismusbekämpfung (nach 9/11), Drogenhandel oder Rettungseinsätzen gab, fehlte eine gemeinsame Vision für die europäische und globale Sicherheitsarchitektur.

    • Die NATO basiert auf demokratischen Werten und dem Prinzip der kollektiven Verteidigung, während Russland zunehmend autoritäre Züge entwickelte und eine revisionistische Außenpolitik verfolgte, die die etablierte Nachkriegsordnung in Frage stellte.

  4. Russlands Ablehnung von Rüstungskontrollvereinbarungen und Raketenabwehr:

    • Diskussionen über Raketenabwehrsysteme im NRR scheiterten, da Russland die westlichen Systeme als Bedrohung seiner eigenen Sicherheitsinteressen sah und keine Einigung über Transparenz oder Einsatzmodalitäten erzielt werden konnte.

    • Russland zog sich aus wichtigen Rüstungskontrollverträgen zurück (z.B. INF-Vertrag), was das Misstrauen weiter verstärkte.

  5. Russlands Invasion der Ukraine (2022):

    • Der umfassende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 machte jede weitere sinnvolle Zusammenarbeit im NRR unmöglich. Die NATO verurteilte die Invasion scharf und erklärte, dass Russland die Beziehungen unwiderruflich zerstört habe. Der NRR wurde seither nicht mehr einberufen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der NATO-Russland-Rat nicht an einzelnen Meinungsverschiedenheiten scheiterte, sondern an einem grundlegenden und wachsenden Dissens über die Prinzipien der europäischen Sicherheitsordnung, an einem tiefen Vertrauensverlust und der zunehmenden Bereitschaft Russlands, seine außenpolitischen Ziele mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Die Invasion der Ukraine war der Endpunkt dieser Entwicklung.

War die "Partnerschaft für den Frieden" 1994 der Beginn des Weges zum Ukrainekrieg 2014 und 2022ff. ?

Bill Clinton nennt (wenn auch nicht ausdrücklich) sich selbst als Erfinder der "Partnerschaft für den Frieden":  "[...] ich hatte eine Partnerschaft für den Frieden gewählt – als Zwischenlösung, um eine sehr viel größere Zahl von Ländern in das neue Sicherheitssystem einzubinden. Ich unterzog die Aufnahme neue NATO-Mitglieder einer sorgfältigen Prüfung und tat alles, um eine Partnerschaft zwischen der NATO und Russland aufzubauen." (Bill Clinton: Mein Leben, S.966/67)

Auf der Seite der Nato zur PfP heißt es:

  • "The PfP was established in 1994 to enable participants to develop an individual relationship with NATO, choosing their own priorities for cooperation, and the level and pace of progress.
  • Activities on offer under the PfP programme touch on virtually every field of NATO activity.
  • Since April 2011, all PfP activities and exercises are in principle open to all NATO partners, be they from the Euro-Atlantic region, the Mediterranean Dialogue, the Istanbul Cooperation Initiative or global partners.
  • On a practical level, all aspects of NATO’s collaboration with an individual partner country are laid out in the Individually Tailored Partnership Programme (ITPP)."
Da die PfP 1994 geschaffen wurde und erst 1996 die ersten Ostblockländer in die Nato eintraten, war sie eine Einladung zum Nato-Beitritt.
Jelzin hatte also völlig Recht, wenn er empört war:
Clinton schreibt: "[...] die weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, hätte uns eigentlich positive Schlagzeilen bescheren sollen. Stattdessen sorgte nur Jelzins Rede für Aufsehen, der er mich dafür kritisierte, den Kalten Krieg durch einen "kalten Frieden" zu ersetzen, weil ich die NATO rasch nach Osten zu erweitern versuchte." (S.966)
1994 hatte er die Ukraine dazu gebracht, ihre Atomwaffen abgegeben: "Auf dem Weg nach Moskau legte ich einen kurzen Zwischenstopp in Kiew ein, um mich mit dem ukrainischen Präsidenten, Leonid Krawtschuk zu treffen und ihm dafür zu danken, dass er gemeinsam mit Jelzin und mir am folgenden Freitag eine Vereinbarung unterzeichnen würde, mit der sich die Ukraine verpflichtete, 176 auf die Vereinigten Staaten zielend ballistische Interkontinentalraketen und 1500 Atomsprengköpfe zu vernichten. Die Ukraine war ein großes Land mit 60 Millionen Einwohnern und enormen Potenzial, doch wie bei Russland wusste man noch nicht, welche Richtung es am Ende einschlagen würde. Krawtschuk  stieß mit dem Wunsch, sich der Atomwaffen zu entledigen, auf beträchtlichen Widerstand im Parlament, und ich wollte ihn unterstützen." (S. 867). Damit war langfristig die Ukraine Russland gegenüber hilflos, und im selben Jahr schuf Clinton mit der PfP die Voraussetzung für die Osterweiterung der Nato. - 
Die Kombination von beidem legte die Grundlage für Putins Angriff auf die Ukraine. 
1. Ukraine hilflos 2. Ehemalige Teile der SU Teil der Nato und das Angebot an die Ukraine, Teil von EU und Nato zu werden. 
Insofern kann man Clinton nachsagen, er sei falsch abgebogen: Von einer Partnerschaft für den Frieden mit Russland und der damit ermöglichten Friedensdividende zur Osterweiterung der Nato und Bedrohung Russlands zur "Zeitenwende" von Olaf Scholz und Boris Pistorius und dem größten Rüstungsprogramm seit Begründung der Bundeswehr.
Das Letztere beruht freilich auf Entscheidungen der Bundesregierungen von 2021 und 2025.

 

Mittwoch, 25. Juni 2025

Aus dem Saarland nach 1935 ins "Reich" Rückgeführte

Frage an die KI:


Im März 1939 in Deutschland, unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Regimes, kann der Begriff "Zurückgeführter" in einem solchen Kontext auf ein sehr spezifisches und sensibles historisches Ereignis hindeuten: die Rückführung von Saarländern nach der Saarabstimmung 1935.

Historischer Kontext: Das Saargebiet und seine Rückgliederung

Das Saargebiet stand nach dem Ersten Weltkrieg (ab 1920) für 15 Jahre unter der Verwaltung des Völkerbundes, während die Kohlegruben Frankreich zugesprochen waren. Im Januar 1935 fand eine Volksabstimmung statt, bei der die große Mehrheit der Saarländer (über 90%) für die Rückgliederung an das Deutsche Reich stimmte. Diese erfolgte am 1. März 1935.

Bedeutung von "Zurückgeführter" im Kontext 1939

Auch wenn die formelle Rückgliederung bereits 1935 stattfand, gab es in den folgenden Jahren verschiedene Programme und Maßnahmen des NS-Regimes, um die Integration des Saargebiets in das Reich zu festigen und ideologisch zu untermauern. "Zurückgeführter" könnte in diesem Zusammenhang bedeuten:

  1. Symbolische oder administrative Kennzeichnung: Es könnte sich um eine offizielle oder umgangssprachliche Bezeichnung für Personen handeln, die nach der Rückgliederung des Saargebiets an das Deutsche Reich als "heimgeholt" oder "zurückgeführt" galten. Dies entsprach der NS-Propaganda, die die Rückgliederung als "Heimkehr" feierte. Im März 1939, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, intensivierten sich die Bemühungen, alle Teile des "Großdeutschen Reiches" ideologisch zu erfassen.

  2. Umsiedlung oder spezielle Programme: Es ist denkbar, dass es spezielle staatliche oder parteiliche Programme gab, die die Mobilität von Jugendlichen oder Familien aus dem Saarland förderten oder sogar anordneten, um sie in anderen Teilen des Reiches zu integrieren oder zu schulen. Dies könnte im Zusammenhang mit:

    • Beruflicher Ausbildung: Jugendliche wurden möglicherweise in andere Regionen geschickt, um dort eine Ausbildung zu beginnen oder abzuschließen, die im Saarland vielleicht nicht verfügbar war oder die für die nationalsozialistische Wirtschaft als wichtiger erachtet wurde.

    • Nationalsozialistischer Jugendarbeit: Im Sinne der ideologischen Erziehung könnte die Unterbringung bei einem Lehrer in Hessen Teil eines Programms der Hitlerjugend (HJ) oder einer anderen NS-Organisation gewesen sein, um den Jugendlichen fernab des Elternhauses die nationalsozialistische Ideologie zu vermitteln und sie auf ihre Rolle im "neuen Deutschland" vorzubereiten. Das wäre besonders plausibel, wenn der Lehrer selbst überzeugter Nationalsozialist war oder in NS-Organisationen aktiv war.

  3. Hintergrund einer zerrütteten Familie: Der Umstand, dass die Eltern an weit voneinander entfernten Orten leben, könnte auf eine zerrüttete familiäre Situation hindeuten. In solchen Fällen war das NS-Regime bestrebt, die Jugendlichen im Sinne der "Volksgemeinschaft" zu erziehen und zu integrieren. Ein Aufenthalt bei einem Lehrer könnte eine Form der staatlich gelenkten Unterbringung gewesen sein, die nicht zwingend auf einem Wunsch des Jugendlichen oder der Eltern beruhte.

Warum ein solcher Umstand "berüchtigt" sein könnte

  • Zwang und Ideologie: Der Begriff "Zurückführung" im Kontext des Nationalsozialismus klingt zwar harmlos, kann aber Zwang, ideologische Indoktrination und die Trennung von Familien bedeuten.

  • Kurzfristige Unterbringung: Die "kurzfristige" Natur der Unterbringung könnte auf eine Übergangsphase hindeuten, bevor eine dauerhaftere Regelung getroffen wurde, möglicherweise im Rahmen der militärischen Vorbereitungen oder weiterer ideologischer Schulungen.

Fazit

Ein "Zurückgeführter" aus dem Saarland, der im März 1939 bei einem Lehrer in Hessen wohnt, deutet stark auf eine Person hin, die im Rahmen der Propaganda und Politik der Integration des ehemals vom Völkerbund verwalteten Saargebiets in das nationalsozialistische Deutsche Reich eine Rolle spielte. Die Umstände (getrennt lebende Eltern, externer Wohnort) könnten auf eine gezielte staatliche oder parteiliche Maßnahme zur Beeinflussung und Ausbildung des Jugendlichen hinweisen, möglicherweise mit stark ideologischem Hintergrund.

St. Bierling: Die unvereinigten Staaten (2024)

 https://norberto42.wordpress.com/2025/06/25/st-bierling-die-unvereinigten-staaten-2024-gelesen/

"Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“ ist der Untertitel dieses hervorragenden Buchs von Stephan Bierling. Er zeigt, wie die verschiedenen Institutionen konzipiert waren und wie sie sich dann im Lauf von 250 Jahren verändert haben: einmal weil verschiedene Krisen und Notlagen eine stärkere Konzentration der Macht beim Präsidenten gefördert haben, weil die Selbständigkeit der Einzelstaaten gegenüber der Regierung abgenommen hat und vor allem weil es seit 50 Jahren eine immer radikalere Polarisierung der beiden großen Parteien gibt, die eine Verständigung, einen Kompromiss vernünftiger Menschen – entgegen der Idee der Verfassung – unmöglich machen. „Mäßigung als Kernprinzip: Die Ideen der Verfassungsväter“ ist das erste Kapitel; in den folgenden neun Kapitel beschreibt er, wie diese Mäßigung auf allen Ebenen, von der Richterbestellung bis zum Zuschnitt der Wahlkreise und dem Modus der Präsidentenwahl, systematisch unterlaufen wird. [...]"

Sonntag, 15. Juni 2025

D. Finck u. J.Zeh über gut, böse u.a.

https://www.youtube.com/watch?v=QETyTK1y3ag

 Juli Zeh: Justiz hat nicht die Aufgabe, Gut und Böse festzustellen, sondern unser Zusammenleben zu gestalten, am Laufen zu halten Finck und Zeh im Interview (1h 1m 35)

 Juli Zeh: Da es gesellschaftliche Regeln gibt, braucht man eine Antwort auf den Regelbruch, damit es danach friedlich weitergehen kann.

Finck und Matze weisen hin auf John Wick [eine Person, die oft Böses tut, um Gutes zu erreichen]. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird Wick mehrfach wieder erwähnt, aber nie geklärt, worum es geht, weil die Männer ihn - offenbar wegen Juli Zeh - in diesem Gespräch aus dem Spiel lassen wollen. 

D. Finck: Der Schwindel (Roman), Rasmus, schöne Sätze - gute Absicht, schlimme Folgen

D. Finck: Menschliche Wahrheit ist eine Frage der Perspektive. Mann und Frau, die sich scheiden lassen wollen, erinnern vermutlich zwei verschiedene Wahrheiten über ihre Ehe.

Juli Zeh: Ich glaube, Wahrheit ist transzendental, also keine Summe von Wirklichkeiten, sondern sie setzt Glaubensfähigkeit voraus.

Wahrheit ist keine individuelle Kategorie. Wenn man von Politik das Richtige und Wahre  fordert, fordert man Unmögliches.

D. Finck: Demokratische Politiker müssen Kompromisse finden, Das lässt sich nicht mit der Überzeugung für das Richtige verbinden. Wenn man als Einzelner seine Wahrheit gefunden hat, regt man sich auf, wenn andere eine andere vertreten.

Juli Zeh: Wenn es keine Großerzählung mehr gibt, tendiert man zur Mannschaftsbildung, die sich über ihren Gegner charakterisiert.

D. Finck: Jeder muss beweisen, dass er zur Mannschaft gehört.

Vielleicht schieben wir mal die Schuld dafür der Aufklärung zu. 

J. Zeh: Die Unterscheidung zwischen gut und böse ist nur aufgrund einer sicheren Überlegenheitsposition möglich. Man steigt besser vom hohen Ross. Früher war das Gottes Angelegenheit.

D.F.' Wir bringen uns in eine Elternsituation. Wir maßen uns an, über andere zu urteilen.

D.F. :Immer zweifelhaft, wenn man den Eindruck hat, anderen etwas erklären zu müssen.

Die von Matze am Schluss empfohlene Sendung ist die mit Maja Göpel

https://www.youtube.com/watch?v=px_bauf8_AA

Da sie allein für sich spricht und nicht stets durch Differenzierung des Partners anders eingeordnet, um nicht zu sagen: korrigiert, werden kann, erwecken ihre Aussagen etwas den Eindruck, sie glaube, etwas erklären zu müssen, was dem Dreiergespräch Matze, Finck, Zeh abgeht. 

Dafür ist freilich auch passend, dass Finck weniger zupackend formuliert, sich auf seinen Status als "NRW-Abiturler" zurückzieht, während Zeh sich verpflichtet fühlt, sehr trennscharf zu formulieren (und das m.E. auch kann) und andererseits Übung darin hat, entweder-oder ["Mannschaftsdenken" Standpunkte zu vermeiden, obwohl sie von sich selbst sagt, dass sie sehr viel weniger tolerant sei, als es scheine. Offenbar hält sie ziemlich kompromisslos an der Ablehnung von Mannschaftsdenken fest.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Dankbarkeit

Ich gehe zum Supermarkt und sehe eine leere Dose herumstehen und freue mich, dass ich so aufräumen und auf dem Weg zum Einkaufen am Flaschen/Dosenautomat eine kleine Spende für die Tafel machen kann. Jetzt muss ich nur daran denken, dass ich dem nächsten Flaschensammler etwas gebe, um auszugleichen, dass ich den Flaschensammlern eine kleine Geldquelle weggenommen habe.

Prompt werde ich an der Kasse mit meinen Kleinigkeiten vorgelassen. Es stellt sich heraus, dass der Betreffende, den ich nicht kenne, auch in dem Verein für gegenseitige Hilfe ist und mich wahrscheinlich mit jemandem aus dem Verein verwechselt hat, der ihm geholfen hat. 

Kleine Freuden des Alltags.

Anlass zu großer Dankbarkeit hat man immer dann, wenn man von Erfahrungen hört, die man noch nie zu machen hatte. So wie zum Beispiel von dieser Person, die einen Selbstmordversuch überstanden hat. Sie hat berichtet:

Auf jeden Fall bin ich jetzt in einer psychiatrischen Klinik, und das Team hat mir geraten, erstmal auf Abstand mit meinen Eltern zu gehen. Die Erziehung war nicht so dolle; jetzt haben die sich verändert, vor allem nach dem Geschehenen. Meiner Mutter habe ich erzählt, dass ich überlege, auszuziehen, da ich, auch wenn sie versuchen, sich zu bessern, in ihrer Gegenwart immer noch Angst habe. Sie war nicht begeistert, aber will mir nun mehr Autonomie einräumen und sagte, ich solle tun, was ich am besten für mich halte. Mir tut es aber richtig Leid. Trotz der Gewalt, dem Schreien, dem Schmerz und der Traurigkeit die sie mir all die Jahre zugefügt haben, fühle ich mich trotzdem schlecht. Wenn ich der Psychologin oder Bezugspflege erzähle, was passiert ist, und sie sagen, ich solle auf Abstand gehen oder sonst etwas Kritisches über sie sagen, bekomme ich voll die Schuldgefühle. Ich konnte nicht richtig lebten, das ist mir klar, aber ich habe überlebt. Materiell hat mir nichts gefehlt, ich fühlte mich halt immer nur in Alarmbereitschaft und entfremdet von jedem im Haus.

Ich soll jetzt in einem Betreuten Wohnen einziehen mit Leuten mit 1-27 Jahren und ähnlichen Umständen/Diagnosen haben, und mi ihnen zusammen leben. Das hört sich echt gut an, und das wird mir auch bestimmt gut tun. Was mich abhält ist, aber der Gedanke daran, dass meine Eltern sich dann schlecht fühlen. Aber wenn ich wieder einziehe, kann es wieder genauso schlimm werden.

Dass die Person nach ihren Erfahrungen Schuldgefühle gegenüber ihren Eltern haben kann, spricht von großer Empathie, die sie freilich zur Gesundung zumindest zwischenzeitlich überwinden muss. Eine Aufgabe, die man nicht haben möchte. 


 

Mittwoch, 11. Juni 2025

Leonie Schöler: Beklaute Frauen

 Leonie Schöler: Beklaute Frauen

Rezensionen:

NDR; Sachbuch-CouchBooknerds; HeymannBuchserien


EINLEITUNG 11

"[...] Als vor circa 2,2 Millio­nen Jahren die ersten Menschen auf Erden wandelten, waren sie in ihrer Entwicklung aus heutiger Sicht vielleicht primi­tiv – aber das mit der natürlichen Ordnung von Mann und Frau hatten sie bereits verstanden. Mann und Frau, Yin und Yang, Gegensätze ziehen sich an!

So oder so ähnlich lautet die Erzählung der ersten Menschen, wie ich sie in der Schule gelernt habe. Den meisten, die jetzt diese Sätze lesen, wurde es vermutlich nicht anders beige­bracht! Ob in Büchern, Filmen oder auch im Museum: Die Ge­schichte der Jäger und Sammler wird bis heute stark über das Geschlecht erzählt. [...]

Lehrt uns die Geschichte denn nicht alles, was wir über das Zusammenleben von Mann und Frau wissen müssen?

Nun, in der Theorie tut sie das. In der Praxis ist es allerdings etwas komplizierter – denn natürlich können wir unsere erlernten Vorbehalte und Denkmuster auch dann nur schwer ablegen, wenn wir in die Vergangenheit blicken. Bezogen auf das Geschlecht nennt sich das in der Wissenschaft Gender Bias, oder auch: geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt. Der beschreibt, dass sich sexistische Vorurteile und Stereotype so sehr auf unser Denken auswirken, dass sie unsere Wahrnehmung der Welt verzerren. Als beispielsweise die Evolutionstheoretiker des 19. Jahrhunderts die biologischen Ursprünge des menschlichen Lebens erforschten, hatten sie ganz klare Vorstellungen von den Geschlechtern. So schrieb Charles Darwin 1871 in seinem Werk Die Abstammung des Menschen:

»Der hauptsächlichste Unterschied in den intellektuellen Kräften der beiden Geschlechter zeigt sich darin, dass der Mann zu einer größeren Höhe in Allem, was er nur immer anfängt, gelangt, als zu welcher sich die Frau erheben kann, mag es nun tiefes Nachdenken, Vernunft oder Einbildungskraft, oder bloß den Gebrauch der Sinne und der Hände erfordern.«1

[...] Die anderen Wissenschaftler hatten nämlich größtenteils exakt die gleichen Vorurteile wie Darwin und suchten in der Geschichte und Biologie des Menschen unermüd­lich nach Beweisen für die Überlegenheit des Mannes. Als Ausgangspunkt für diese Annahme funktionierten die Jäger und Sammler ganz fantastisch: Die scheinbar klare Rollen­verteilung diente als Argument, dass dies die natürliche Ord­nung zwischen Mann und Frau sein müsse, die bereits in ihrer Biologie begründet sei.

Erste archäologische Untersuchungen bestätigten diese Auffassung. In den Gräbern von Männern waren Jagdwaffen und Werkzeuge beigelegt, wäh­rend Frauen Schmuck als Grabbeigabe erhielten. So grub man in den folgenden Jahrzehnten die Geschichte immer weiter um und buddelte ganz viele kleine und große Beweise aus für die eigene Vorstellung von der menschlichen Exis­tenz. [...] 

Seit wenigen Jahren gibt es tatsächlich eine neue Perspektive auf unsere Vergangenheit. 2018 wurde in den peruanischen Anden das mit Waffen reich bestückte Grab eines Kriegers ge­funden. Mithilfe modernster Technik wurden die circa 9000 Jahre alten Gebeine genealogisch analysiert, es wurde also ein DNA-Test gemacht – und etwas schier Unglaubliches be­wiesen: Das Skelett war das einer Frau!2 [...] 30 bis 50 Prozent der untersuchten Skelette, die man bisher auf Grundlage der Waffen und Werkzeuge im Grab als männlich identifiziert hatte, waren biologische Frauen.

Zuletzt haben Archäo­log*innen einen Sensationsfund aus dem Jahr 2008 korri­giert: Damals war in der Nähe des südspanischen Valencia das Grab eines mächtigen Herrschers aus der Kupferzeit ent­deckt worden. Er bekam den Namen »Ivory Man«, in Anleh­nung an die prächtigen Grabbeigaben und Waffen aus El­fenbein, die sich deutlich von anderen Gräbern aus der Zeit unterschieden. Doch 2023 durchgeführte DNA-Tests ergaben, dass der Ivory Man eigentlich eine Ivory Lady war. Nicht nur das: Die Forschenden kamen in ihrer Studie auch zu dem Er­gebnis, dass

»sie zu einer Zeit, in der kein Mann eine auch nur annä­hernd vergleichbare soziale Stellung einnahm, eine führende gesellschaftliche Persönlichkeit war. Nur andere Frauen, die kurze Zeit später in […] einem Teil desselben Gräberfeldes bestattet wurden, scheinen eine ähnlich hohe soziale Stel­lung gehabt zu haben.«5

Offenbar waren in dieser Region vor 5000 Jahren nur Frauen die Anführerinnen gewesen. Gab es etwa doch gar keine strenge Mann-Frau-Aufteilung unter unseren Vorfahren? [...]"

Fontanefan: Anregend ist Schölers Perspektive unbedingt und sie fußt auf aktueller Forschung. Unklar bleibt mir dabei, weshalb sie zumindest in der Einleitung nicht auf die Geschichte der Matriarchatstheorien eingeht.

Zur Unterstützung ihrer These, dass das Denken der Zeit Einfluss auf das Geschichtsverständnis gehabt haben wird, verweise ich aber auf ein Beispiel vom Ende des 19. Jahrhunderts.


Kapitel eins (K)EINE BÜRGERIN

Der Fisch stinkt vom Kopfe her23

Auf den Barrikaden: Frauen in den Revolutionen von 1848/4929

Wer hat Angst vorm weißen Mann? »Rasse«, Klasse und Geschlecht im nationalen

 Selbstverständnis41

Frauen als Nicht-Bürgerinnen49

Kapitel zwei ENDSTATION: EHE

Der Matilda-Effekt 59

Ungleiche Bündnisse zwischen Zusammenarbeit und Ausbeutung62

Bis dass der Tod euch scheidet oder: Wo blieb der Widerstand? 74

Die Lücke im System: Warum zu heiraten sich für Frauen nicht lohnt84

Kapitel drei KÜNSTLER WIRD MIT ER GESCHRIEBEN

Im Namen des Vaters und des Sohnes: Frauen als Familienangestellte 97

Eleanor Marx, Jenny MarxJenny Caroline Longuet,

Berühmte Genies und ihre heimlichen Mitarbeiterinnen 118

Lucia Mohol; Marieluise Fleißer, Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin*, Ruth

 Berlau*

*""Als Brecht sich 1940 um ein USA-Visum für sie bemühte, beschrieb er sie als seine engste

 Mitarbeiterin: „Tatsächlich überblickt nur sie meine Tausende von Manuskriptblättern.“ Das

 war mit Sicherheit nicht übertrieben, Steffin führte fast die gesamte Korrespondenz mit

 Verlagen und Freunden, schrieb Brechts Texte ins Reine, war hier auch kritische Gutachterin,

 lernte Sprachen, dort wo es notwendig war, und ordnete Brechts Gedichte. Als Steffin starb,

 war Brecht über ein Jahr lang unfähig zu arbeiten.[2] Brechts Gedicht Nach dem Tod meiner

 Mitarbeiterin M.S. bezieht sich auf Margarete Steffin und hebt ihre Bedeutung für das

 brechtsche Werk hervor.

"In Dänemark, außerhalb seines Sprachraums und ohne Mitarbeiter, war Brecht zum ersten

 Mal auf sich allein gestellt. Ohne die bewährte Kollektivarbeit mit Ruth Berlau konnte er Die

 Gewehre der Frau Carrar nicht zu Ende schreiben. Der Mangel an Mitarbeitern war nach

 Ansicht Berlaus der wahre Grund, warum Brecht sie so sehr vermisst hatte. Berlau inszenierte

 (unter Mitarbeit Brechts) Die Gewehre der Frau Carrar. Die erste Aufführung mit Mitgliedern

 ihres Kopenhagener Arbejdernes Teater fand am 19. Dezember 1937 vor Emigranten statt.

 Das Aftenbladet schrieb in einer Rezension vom 20. Dezember 1937: „Das stark dramatische

 Stück wurde ausgezeichnet dargeboten, geprägt sowohl von der Begeisterung dieser

 Laienschauspieler als auch von der gekonnten Regie Ruth Berlaus. Namentlich Dagmar

 Andreasen als Mutter spielte fein und empfindsam.“ Eine zweite Aufführung fand am 14.

 Februar 1938 als Wohltätigkeitsveranstaltung für die Deutsch-Schüler in der Borups Höjskole

 Kopenhagen statt. Die Zeitungen waren erneut voller Lob und berichteten über eine gelungene Aufführung.[5]

Im August 1938 arbeitete Brecht mit Ruth Berlau an ihrer Novellensammlung Jedes Tier kann es, die 1940 mit dem dänischen Titel Ethvert dyr kan det unter dem Pseudonym Maria Sten herauskam. Für den von Ruth Berlau bearbeiteten englischen Schwank Alle wissen alles schrieb Brecht ein Vorwort, in dem er seiner „Sympathie zu dieser Art Gattung der Dramatik“ Ausdruck verlieh.[6]

Brecht war inzwischen nach Schweden übergesiedelt, und seine Mitarbeiterin Margarete Steffin unterstützte Berlau bei den Korrekturen der Svendborger Gedichte. Sie schickte die Zweitkorrektur an die Setzerei nach Kopenhagen, danach gab Berlau den Band mit eigenen Geldmitteln heraus.[7] Aus Bescheidenheit und anstatt sich selbst als Herausgeberin zu benennen, ließ Berlau Wieland Herzfelde mit seinem Malik-Verlag in London hineindrucken. Brecht schrieb darauf an sie: „Von allen Menschen, die ich kenne, bist Du der großzügigste.“ Von Herzfelde wurde sie später wegen der „hässlichen“ Form der Ausgabe, die nicht der der Gesammelten Werke entsprach, kritisiert."

Von der Muse geküsst oder: Können Frauen Kunst?137

Kapitel vier OHNE AUSZEICHNUNG

Prestige und Macht: Wieso Rosalind Franklin keinen Nobelpreis hat 155

Unsichtbar gemacht: Wieso Lise Meitner keinen Nobelpreis hat 177

Machtgefälle: Wieso Jocelyn Bell Burnell keinen Nobelpreis hat 194

Eine Frage der Geschlechtertrennung 211

"Neuerdings dürfen trans Frauen nicht mal mehr im Damenschach antreten. Personen, die in einem männlichen Körper geboren wurden, sind also im logischen Denken besser als biologische Frauen – oder was soll uns das sagen? Nun ja, diese Auffassung spiegelt sich zwar kaum die tatsächlichen Ergebnisse wider, denn mitnichten gewinnen trans Athletinnen haushoch überlegen in allen Sportarten. Es zeigt aber auf, wie nicht-binäre Identitäten zum Spielball werden, um die binäre Geschlechtsordnung aufrecht zu erhalten. Dazu passt auch, dass mit trans und inter Personen im Sport aktuell genauso umgegangen wird, wie man lange Zeit mit Frauen umgehen. Erst ignorieren, dann hitzig, polemisch und über die Köpfe der betreffenden Personen hinweg diskutieren, um sie dann zu sperren und ihnen die Teilnahme an Wettkämpfen zu verbieten. [...] Es ist ja nicht so, als gäbe es im Sport nicht auch unabhängig vom Geschlecht körperliche Vorteile oder Einschränkungen, für die man bereits Lösung gefunden hat, so wie Alters- und Gewichtsklassen, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Oder man nimmt sich die Paralympics zum Vorbild: Dort spielen die körperlichen Voraussetzungen der jeweiligen Leistungssportler*innen eine selbstverständliche Rolle dabei, in welcher Gruppe sie antreten. Niemand spricht von Vor- oder Nachteilen; es geht einfach darum, dass Menschen sich miteinander messen können, deren Grundvoraussetzungen ähnlich sind. Dass man über breiter gefächerte Startgruppen nicht auch bei nicht-behinderten Athlet*innen diskutiert, ist für mich ein Hinweis auf / ein fehlendes Interesse bei vielen Verbänden und Sportfunktionär*innen, wirklich faire Startbedingungen für alle zu schaffen." (S. 220/221).

Es geht einfach darum, dass Menschen sich miteinander messen können, deren Grundvoraussetzungen ähnlich sind.

Diesen Grundsatz will Schöler bei den Unterschieden zwischen Geschlechtern nicht gelten lassen. Dankenswerterweise führt sich aber auch gleich die Beispiele an, die deutlich machen, dass das, was bei Alters- und Gewichtsklassen ohne weiteres möglich ist bei der Trennung nach Geschlechtern problematisch wird: Beim Boxen unterscheidet man nach Gewichtsklassen, weil ein Boxer mit Fliegengewicht gegen einen Boxer im Schwergewicht (allgemein anerkannt) keine Chancen hat und weil es leicht ist, nach objektiven Kriterien (Gewicht) zu trennen. Freilich ist die Anerkennung, um die es Schöler geht, in den niedrigeren Gewichtsklassen weit geringer. Schwergewichtsweltmeister sind nicht selten weltbekannt, Fliegengewichtsmeister nicht. Fast noch deutlicher ist es bei den Behindertenwettkämpfen. Bis die Paralympics Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zugänglich wurden, dauerte es lange. Ihre Wettkämpfe werden aber weiterhin nicht zugleich mit den allgemeinen Olympischen Spielen ausgetragen. Wenn die Olympischen Siele für Männer und Frauen getrennt ausgetragen würden, wäre das in Schölers Sinne? 

Aber nicht nur das: Bei den ersten olympischen Behindertenwettkämpfen galt nur eine einzige Hilfe als erlaubt: der Rollstuhl. Wenn aber Laufwettbewerb mit Hilfen erlaubt sind, wird sofort die Bedingung, dass die Grundvoraussetzungen ähnlich sind, fragwürdig. Zu groß sind die Unterschiede von technischen Hilfsmitteln. 

Schölers Vorstellung, dass man nach Altersklassen trennen könne, hat den Charme, dass das (bei Mannschaftssportarten, z.B. beim Fußball) schon lange geschieht. Aber kein U21-Fußballer wird die Chance, dass er in der Klasse ohne Altersbeschränkung mitspielen darf, verpassen wollen; denn erst da gilt die Auszeichnung richtig. 

Doch grotesk wird es erst, wenn Schöler sich beklagt über "ein fehlendes Interesse bei vielen Verbänden und Sportfunktionär*innen, wirklich faire Startbedingungen für alle zu schaffen". Wie sollte man erreichen, dass für alle Sportarten, alle Arten von Behinderung, alle Gewichts- und Altersklassen "wirklich faire Startbedingungen für alle" geschafft werden? Wäre damit nicht sofort die Anerkennung aufs Spiel gesetzt, wenn man nicht die Chance hat, sich auch bei höheren Ansprüchen zu beweisen?

Wenn alle Wettbewerbe in getrennten Leistungsgruppen stattfinden müssten, wäre die Organisation unsinnig erschwert und die öffentliche Sichtbarkeit von Leistungen nahezu beseitigt. (Kommentar Fontanefan)


Kapitel fünf WIDERSTAND

Blutrünstige Amazonen oder: Die Furcht vor der kämpfenden Frau 225

Rote Huren, Soldatenflittchen und Frontschlampen: Frauen im Krieg 233

Erinnerungskultur ist Identitätspolitik 249

Wem nützt weißer Feminismus? 260

Kapitel sechs VERGESSEN UND AUSGELÖSCHT

Noch nie gehört: Frauen hinter männlichen Pseudonymen 271

Goethe, Lessing, Brecht und Co.: Bildung ist weiß und männlich 280

Noch nie gesehen: Das Phänomen der »Wiederentdeckten Frau« 290

Google mal CEO: Warum Algorithmen männlich denken 301

SCHLUSSWORT 315

ANHANG 323