Samstag, 2. Januar 2016

"Reiche wollen nicht, dass andere viel ärmer sind." oder "Teilen tut weh" - Was gilt?

ZEIT Nr. 2016/1 30.12.15
Der Ökonom Mattias Sutter erforscht Verhaltensweisen. Er findet heraus, dass Personen im Experiment Geld, das sie durch Zufallsentscheid erhalten 50:50 teilen, wenn der andere die Möglichkeit hat, ihnen alles wegzunehmen, wenn er die Teilung nicht für gerecht hält. Außerdem, dass sie ca. 30% abgeben, wenn der andere diese Möglichkeit nicht hat. Schließlich, dass sie weniger abgeben, wenn sie den Eindruck haben, dass sie das Geld nicht durch reinen Zufall erhalten haben. (mehr dazu im Interview)
All das entspricht dem gesunden Menschenverstand, doch hätte man es ohne das wissenschaftliche Experiment nicht wissen können. Das Milgram-Experiment hat nachgewiesen, dass der gesunde Menschenverstand gerade bei psychologischen Fragen erheblich daneben liegen kann.

So weit, so gut. Nun aber die Überschrift des Interviews mit Sutter:
"Reiche wollen nicht, dass andere viel ärmer sind."
Gilt denn ein Experiment, das mit einer Zufallsauswahl durchgeführt worden ist, automatisch auch für die Sondergruppe der "Reichen", wie immer "reich" definiert sein sollte?

Mal wieder ein Beispiel für eine unpassende Überschrift. Nur gewinne ich den Eindruck, dass die Tendenz der Verfälschung mehr in eine bestimmte Richtung geht als in die andere.

Was nutzt der Kommentar Teilen tut weh von Roman Pletter in derselben Nummer der ZEIT mit dem konkreten Hinweis "Die Unternehmen wollten einfach nicht mehr von ihren Gewinnen mit den einfachen Angestellten teilen", wenn die Wissenschaft angeblich das Gegenteil bewiesen hat.

Wenigstens hier soll dem Kommentar mit seinen konkreten Hinweisen Recht geschehen, indem ich noch etwas mehr daraus zitiere:
"Welche Rolle Macht bei diesen Fragen spielt, hat ein politisches Großprojekt gezeigt, mit dem das nun endende Jahr begann. Damals taten Politiker und Wirtschaftsverbände so, als gefährde die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns den Fortbestand Hunderttausender Arbeitsplätze. Heute wirkt das Vorhaben maushaft in seiner Dimension und überraschend in seinen Konsequenzen. Der Mindestlohn hat entgegen aller Kritik von Unternehmensverbänden nicht dazu geführt, dass es weniger Beschäftigte gibt. Deren Zahl ist sogar gestiegen.
Der Streit um den Mindestlohn ist eine Machtfrage – und sie wird sich verschärfen
Die Unternehmen wollten einfach nicht mehr von ihren Gewinnen mit den einfachen Angestellten teilen. Dann wurden sie gezwungen. Nun zeigt sich: Es war nur eine Machtfrage um die Verteilung der Wertschöpfung.
Die Machtfrage um den Mindestlohn wird sich im kommenden Jahr und denen, die folgen, wieder stellen. Er wird dann neu zu verhandeln sein. Das liegt nicht nur an den Flüchtlingen, von denen viele wohl keine Arbeit finden werden, für die jemand die aktuelle Lohnuntergrenze bezahlen wird. Viele sozialtektonische Bruchlinien hätten auch ohne sie irgendwann zu Konflikten um das Teilen geführt, spätestens dann, wenn Deutschlands Unternehmen einmal nicht mehr so gut verdienen wie zurzeit. Durch die Flüchtlinge werden diese Risse nur früher sichtbar. Wie stark die politischen Beben dann werden können, das hat sich im ablaufenden Jahr gezeigt, als extreme Parteien in europäischen Staaten mit hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Problemen beängstigend viel Macht gewannen."

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