Dienstag, 13. Oktober 2020

Über die Versuchungen und Überforderungen eines Strafrichters

"Die Strafjustiz ist schwach bei intelligenter und mächtiger Kriminalität, stark und manchmal großmäulig gegen Unterschichtenkriminalität. Etwas mehr Reflexion und etwas weniger Zeitgeist wären nützlich.

[...] am Amtsgericht, wo Säufer, Rapper, Hausmänner und Fachverkäuferinnen sich ihre Lebenshilfen abholen, sind meist keine Professoren zur Hand; da muss der Amtsrichter alles selbst wissen. Zum Glück, so denken er und seine Dienstvorgesetzten, macht er den Job schon 20 Jahre und hat alles mal gesehen. Deshalb weiß eine 49-jährige Strafrichterin, Einzelkind aus einem Zahnarzthaushalt, schon nach kurzer Einarbeitungszeit wirklich genau, wie es auf dem Straßenstrich, im Sozialamt, in der Bahnhofshalle und unter Amphetaminsüchtigen zugeht; und was eine 21-Jährige mit abgebrochener Friseurinnenlehre und Großflächentattoo samstagnachts denkt, will, träumt und reflektieren kann, wenn sie mit zwei Ecstasy in der Birne auf einem Beifahrersitz Platz nimmt, kann sich die Richterin bestimmt sehr gut vorstellen. Sie hat übrigens, um das zu lernen, während ihrer gesamten, acht Jahre währenden Ausbildung genau null Stunden aufgewendet.

Will sagen: Strafrichter haben zu einem großen Teil mit Sachverhalten zu tun, die sie selbst nie erleben, und mit Menschen, denen sie in vielerlei Hinsicht selbst denkbar fernstehen. Strafrichter wachsen nicht in Hartz-IV-Familien auf; sie wohnen nicht zu sechst auf 65 Quadratmetern; am 25. des Monats ist das Geld in der Regel noch nicht versoffen; sie können Französisch und ein bisschen Latein und fürchten sich bis auf den Grund ihrer Seele davor, sozial abzustürzen und verachtet zu werden, während ihre Klientel dieses Gefühl schon in der Kita inhaliert hat." ("Knallhart-Richter" gegen Rapper Gzuz Strafen fürs schlichte Gemüt, Spiegel Panorama 9.10.20)

Natürlich bin ich nicht immer Thomas Fischers Meinung, aber lehrreich ist immer, was er sehr gut verständlich vorträgt. Dazu:

"Die Rezensentin des Deutschlandfunks äußerte, Fischer schreibe „ungewohnt offen und gedanklich erfrischend“; das Buch bewege sich „zwischen Polemik, Provokation und Belehrung“.[16] Mit Blick auf das große Publikum Fischers bei Universitätsvorträgen schrieb der Unispiegel im Mai 2016, Fischer werde gerade „zu einer Art Popstar und Erklärbär für Studenten und andere junge Menschen“.[40]" (Wikipedia)

In diesem Fall fällt es leicht, ihm zuzustimmen. 

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