Freitag, 27. März 2015

Osterhammel: Weltgeschichte 1800-1850 (Textausschnitte)

19. Jahrhundert, Informationen zur politischen Bildung Nr.315 von Jürgen Osterhammel (S.22-29) - Eine kurze Weltgeschichte von 1800-1850 für Schüler

      Transatlantische Verbindungen und Trennungen

"Um 1800 waren die einzelnen Teile der Erde noch sehr weit von einander entfernt. Von einem Kontinent zum anderen gelangte man nur durch gefährliche und beschwerliche Seereisen. Von England aus war ein Schiff nach China vier bis fünf Monate unterwegs. [...] Nirgendwo, auch nicht über den Nordatlantik hinweg, gab es einen fahrplanmäßigen Schiffsverkehr, von Tourismus ganz zu schweigen. [...] Um 1800 hatten die europäischen Mächte keineswegs schon den überwiegenden Teil der Erdkugel unter ihre Herrschaft gebracht. In Afrika war nur die Südspitze des Kontinents niederländisches, dann britisches Kolonialgebiet.
In Asien hielten sich winzige portugiesische Küstenenklaven (Goa in Indien, Macau in China) als Reste eines verschwundenen Handelsimperiums. Bedeutenden Kolonialbesitz [...] unterhielten nur die Niederlande im heutigen Indonesien sowie die Briten, deren halboffizielle East India Company seit den 1760er-Jahren Territorialherrin in Bengalen (mit der Hauptstadt Kalkutta) war und um 1800 erfolgreich Kriege zur Ausweitung ihres Herrschaftsbereichs führte. Französische Versuche, sich in Asien festzusetzen, waren gescheitert. [...]

Viel tiefer hatte sich der europäische Kolonialismus in der westlichen Hemisphäre eingewurzelt. Dort war er aber in den 1760er-Jahren in eine tiefe Krise geraten. Diese Krise hatte 1776 dazu geführt, dass 13 der britischen Kolonien in Nordamerika ihre Unabhängigkeit erklärten. Sie siegten in einem Krieg gegen das vormalige Mutterland und gaben sich 1787 eine gemeinsame Verfassung. 1789, im Jahr der Französischen Revolution, nahmen die Organe eines neu gegründeten Staates – Präsident, Senat und Repräsentantenhaus – ihre Arbeit auf: die der Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA waren durch Sezession ohne verbleibende Bindung aus dem British Empire ausgeschieden.
Die imperiale Krise der 1760er-Jahre hatte auch das große spanische Reich in der Neuen Welt erfasst. [...] Aus dem riesigen spanischen Imperium wurde ein Mosaik von 16 souveränen Staaten: großen wie Mexiko, Venezuela oder Argentinien, kleinen wie Panama oder Honduras. Unter anderen Umständen löste sich Brasilien 1822 von Portugal und machte sich zu einem selbstständigen Kaiserreich. Nur die Inseln Kuba und Puerto Rico verblieben bis 1898 in spanischer Hand.
Die Unabhängigkeit Lateinamerikas war die umfassendste Veränderung der politischen Landkarte in der gesamten Neuzeit. Fügt man hinzu, dass Napoleon 1803 die riesigen französischen Besitzungen in Nordamerika, die sich heute auf 15 Bundesstaaten verteilen, an die USA verkaufte, so zeigt sich, dass zwischen 1783 – als die späteren USA nach ihrem militärischen Sieg über Großbritannien de facto selbstständig wurden – und 1826 aus einem vom arktischen Norden bis in den tiefen Süden von Europa kolonisierten Kontinent eine Welt post-imperialer Nationalstaaten geworden war; nur Kanada blieb britisch." 
"Die Inselwelt der Karibik ging einen anderen Weg als das Festland. Dort behauptete sich der europäische Kolonialismus. Eine Ausnahme bildete die französische Kolonie Saint-Domingue, die westliche Hälfte der Insel Hispaniola. Saint-Domingue war die wirtschaftlich produktivste und profitabelste Kolonie des französischen Ancien Régime. Hunderttausende von Sklaven, die aus Afrika herbeigeschleppt worden waren, bauten dort für französische Pflanzer Zucker und Tabak an, „Kolonialwaren“ für europäische Kunden. Nachrichten vom Ausbruch der Französischen Revolution weckten Freiheitshoffnungen in allen Teilen der Bevölkerung. [...] Vorübergehend schien sich die Möglichkeit eines autonomen Sonderstatus innerhalb des französischen Staatsverbandes abzuzeichnen. Sie wurde verspielt. Am Ende eines blutigen Tumults, der insgesamt von 1791 bis 1804 dauerte, stand die Gründung des neuen Staates Haiti – das erste Beispiel für einen erfolgreichen anti-kolonialen Befreiungskampf von Nicht-Weißen. Die Haitianische Revolution bildet eine wichtige Episode in der Geschichte revolutionärer Wechselwirkungen über den Atlantik hinweg in den Jahrzehnten um 1800." (S.22-23)

Agrarische Imperien und ihr Niedergang
"Während sich in Amerika die europäischen Kolonialreiche auflösten, gerieten in Asien die seit langem etablierten agrarischen Monarchien in eine tiefe Krise. In Indien war bereits im frühen 18. Jahrhundert das vordem riesige und mächtige Mogulreich in Teilstaaten zerfallen. Erst diese Zersplitterung hatte es den Briten erlaubt, in Bengalen Fuß zu fassen und von dort aus – dies war bis 1818 geschehen – große Teile des Subkontinents zu erobern. So weit kam es in anderen Teilen Asiens einstweilen noch nicht. Der im 17. Jahrhundert starke und kulturell blühende Iran wurde Opfer nicht europäischer, sondern afghanischer Invasionen. Dennoch war die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Wendezeit für Asien, denn das bis dahin bestehende ungefähre Gleichgewicht zwischen Asien und Europa verschwand. 
Europa, vor allem vertreten durch das wirtschaftlich dynamische Großbritannien, konfrontierte Asien mit militärischen und kulturellen Herausforderungen, auf die eine Antwort schwerfiel. Keine der agrarischen Monarchien erwies sich als reformfähig genug, um dem Westen Widerstand leisten zu können." (S.24)

Die eigenständige Entwicklung der USA
"[...] Zum Zeitpunkt der Gründung der USA 1789 wusste man an der Atlantikküste so gut wie nichts über das Innere und den Westen des eigenen Kontinents. [...] Die Erschließung des Westens dauerte bis zum Ende des Jahrhunderts und wurde zu einem der großen Themen des US-amerikanischen Selbstverständnisses. Dieses Voranschieben einer Siedlungsgrenze, der frontier, war mit brutalem Vorgehen gegenüber der indianischen Bevölkerung verbunden." (S.26)
"Kalifornien wurde anfangs nicht durch die Ost-West-Bewegung der agrarischen Frontier besiedelt, sondern von Abenteurern, die nach der Entdeckung von Gold im Jahre 1848 in diese Region strömten. Durch einen Angriffskrieg gegen Mexiko hatten die USA zu Beginn desselben Jahres den mittelamerikanischen Nachbarstaat zur Abtretung des größten Teils Kaliforniens gezwungen. Das Staatsgebiet der USA wurde seit der Unionsgründung kontinuierlich erweitert. [...] Die Einbeziehung der neuen Territorien in den Zusammenhang der Föderation gehört zu den erstaunlichsten Leistungen politischer Organisation in der Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts. So wurde verhindert (was durchaus / denkbar gewesen wäre), dass sich auf nordamerikanischem Boden, ähnlich wie in Süd- und Mittelamerika, mehrere unabhängige Staaten bildeten." (S.27/29) "Die territoriale Expansion schuf aber mindestens ein zentrales Problem: die Ausdehnung der Sklaverei in die neu angeschlossenen Gebiete. Die Einfuhr neuer Sklaven in die USA war 1808 durch Bundesgesetze verboten worden. Die Sklaverei jedoch blieb weiterhin erlaubt. Sie wurde mehr denn je zur wirtschaftlichen Grundlage einer boomenden Plantagenproduktion, vor allem von Baumwolle, in den Südstaaten und zur zentralen gesellschaftlichen Institution in diesen Teilen der USA. Da sich die Sklavenbevölkerung in den USA, anders als in der Karibik, ohne neuen Zustrom selbst vermehrte, herrschte an schwarzen Arbeitskräften kein Mangel. Im Norden, das heißt nördlich von Virginia und Kentucky, war die Sklaverei nach 1780 durch einzelstaatliche Gesetzgebung schrittweise abgeschafft worden. Den neu an die Union angeschlossen Staaten wurde es nicht länger anheimgestellt, sich selbst für oder gegen die Sklaverei zu entscheiden („Missouri-Kompromiss“ von 1820)." (S.29)
Pax Britannica als Weltordnung
"[...] Die einzige wirkliche Weltmacht im 19. Jahrhundert war Großbritannien. [...] Die Vernichtung von Napoleons Seemacht bekräftigte nach 1805 die maritime Vorrangstellung des Vereinigten Königreichs. [...] Das britische Weltreich unterschied sich von allen anderen zeitgenössischen Reichen dadurch, dass es (beim Stand von etwa 1850) neben Flächenkolonien wie Kanada, Australien, Neuseeland, Indien oder Südafrika ein weltweites System von Hafenstützpunkten unterhielt, die unter anderem der Proviantierung der Schiffe dienten. [...] Dabei verfolgte Großbritannien keineswegs die Politik, Verkehr und Handel auf den Ozeanen für sich zu monopolisieren.
Nachdem das britische Parlament mit Wirkung ab 1808 den Sklavenhandel verboten hatte, wurden das Aufbringen von Sklavenschiffen und die Befreiung der Sklaven zu einer weiteren, quasi-polizeilichen Daueraufgabe der Navy. Schließlich war die Flotte auch zu Kriegseinsätzen fähig. Nach der Einführung dampfgetriebener Kanonenboote, wie sie erstmals im Opiumkrieg gegen China eingesetzt wurden, besaß sie die Kapazität, im außereuropäischen Raum zur Durchsetzung imperialer Interessen lokal zu intervenieren und Druck auszuüben. Dampfschiffe hatten dabei den Vorteil, dass sie flussaufwärts fahren und Städte im Landesinneren bedrohen konnten.
Der Begriff des britisch durchgesetzten Friedens, der Pax Britannica, umfasst noch mehr. Zum einen bezieht er sich auf die Tatsache, dass die Briten nach der Eroberungsphase in vielen ihrer Kolonien für einen inneren Landfrieden sorgten. [...] Zum anderen bedeutete Pax Britannica, dass die britische Seeherrschaft durch die leistungsfähigste Ökonomie der Welt untermauert war. Die britische Wirtschaft war dabei in hohem Maße auf ihre weltwirtschaftliche Einbindung angewiesen. Ihre wichtigsten Rohstoffe, vor allem Baumwolle, bezog sie aus Übersee; ihre einträglichsten Absatzmärkte lagen außerhalb der heimatlichen Inseln. [...] Der Wiener Ordnung auf dem europäischen Kontinent entsprach keine per Konferenz und Verträge abgesicherte internationale Ordnung. Die Pax Britannica, gegen die vor den 1880er-Jahren keine der anderen Großmächte ernsthaften Protest anmeldete, fungierte als eine Art von Ersatz für eine solche Ordnung." (S.29)

Die wissenschaftliche Grundlage für seine vereinfachte Darstellung der Weltgeschichte für Schüler hat Osterhammel 2009 in folgendem Werk gelegt:
Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts
  • Wie kann man Osterhammels Aussagen den Kategorien Zeit und Ort und/oder einigen der Panoramen und Themen seines wissenschaftlichen Werkes "Die Verwandlung der Welt" zuzuordnen.
  • Wie unterscheidet sich die Darstellungsweise?
  • Weshalb wählt er für Schüler eine Darstellungsweise, die so viel konventioneller ist als sein wissenschaftlicher Ansatz? 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen