Dienstag, 18. Mai 2021

Israel: Der Unterschied zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus

"Das Besondere am Verhältnis zu Israel zu wahren, ohne beim Umgang mit seiner Politik allgemeine ethische Maßstäbe aufzugeben – das erfordert mehr als noch so berechtigte Empörung über offenen Antisemitismus. [...]" Stephan Hebel, FR 17.5.21 (Druckausgabe: 18.5.)

Dabei formuliert Hebel folgende notwendige Voraussetzungen legitimer Israelkritik:

"Erstens: Die Existenz Israels hat mit den historischen Verbrechen Deutschlands so viel zu tun, dass wir kein Recht besitzen, sie infrage zu stellen. Genauso wenig wie das Recht dieses Landes, sich gegen Terror zu verteidigen. [...]

Zweitens: Auch wenn Jerusalem die Bevölkerung in den besetzten Gebieten auf höchst kritikwürdige Weise abwertet und entsprechend behandelt: Es sind nicht „die Juden“, die das tun, es ist die Regierung des Staates Israel. [...]

Drittens: Zu den Grenzüberschreitungen zwischen Kritik an Israel gehört das sogenannte Anlegen doppelter Standards: Israel wird oft in einer Weise geschmäht, die in Bezug auf Raketen aus Gaza oder auch auf Terrorregime anderswo in der Welt unterbleibt. Nur wer überall gleiche Maßstäbe anlegt, kann mit Kritik überzeugen. Nur wer nicht so tut, als sei der Palästina-Konflikt eindeutig einer Seite anzulasten, wird dem Thema gerecht. [...]"

Diese ausgezeichnete, differenzierte Unterscheidung zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik habe ich mir schon lange gewünscht, hätte sie aber in dieser Klarheit nicht formulieren können. Es lohnt sich unbedingt, den vollständigen Beitrag nachzulesen, ob in der Druckausgabe der Frankfurter Rundschau vom 18.5.21 oder den obigen Link.

Ich möchte hinzufügen: Der Anspruch, den Hebel hier ansetzt, ist sehr hoch. Manche kürzere Formulierung kann dabei Antisemitismus zugeordnet werden, obwohl sie nicht so gemeint ist. Andererseits kann auch bei formaler Erfüllung der Forderung Hebels ein Text geeignet sein, von Antisemiten in ihrem Sinne missbraucht zu werden, wenn er verkürzt wiedergegeben wird. Insofern sollte man beachten, dass in einer aufgeheizten Situation ein Text als antisemitisch verstanden werden kann, der Hebels Kriterien genügt.

Hinzufügen möchte ich: Es macht einen großen Unterschied, wer einen Text formuliert. 

Wenn ein Deutscher an der Politik des Staates Israel übt, darf man verlangen, dass er streng im Sinne von Hebel formuliert. Jemandem, der die Vorgeschichte des Staates Israel nicht kennt, sollte man nachsehen, wenn er gelegentlich missverständlich formuliert. Umso wichtiger ist es, dass man antisemitischen Vorurteilen, die in einer Konfliktsituation mit dem Staat Israel im Nahen Osten entstanden sind, in aller Deutlichkeit entgegentritt und mithilft, sie abzubauen. 

Sehr wertvoll ist da die Arbeit, die Daniel Barenboim mit seinem Symphonieorchester leistet, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. (West-Eastern Divan Orchestra)

Zum Zusammenhang, in dem Antisemitismus gegenwärtig in den USA auftritt:

Saul FriedländerEin fundamentales Verbrechen Die ZEIT 7.7.21 



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