Samstag, 29. April 2023

Laufzeitverlängerung für Atomkraft?Atomkraft -

"Wo liegt das Problem mit der Laufzeitverlängerung: Das Hauptproblem ist die Materialversprödung durch jahrelange radioaktive Belastung. Der Edelstahl rostet nicht und sieht aus wie neu, hält den technischen Anforderungen jedoch nicht mehr stand, vergleichbar mit Osteoporose bei Knochen. In Frankreich wurden dementsprechende Materialtests in laufenden Atomkraftwerken durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass eine Materialversprödung bereits nach zehn Jahren Betrieb so hoch ist, wie die berechneten Werte für 20 Jahre Laufzeit. Natürlich verschwand dieser Bericht erst mal zehn Jahre in der Schublade, bevor er eher zufällig veröffentlicht wurde.

Der dritte Block des Atomreaktors Flamanville 3 in der Normandie hatte Baubeginn am 3. Dezember 2007. Im Jahr 2015 haben die dortigen EDF Ingenieure einen offenen Brief an den Prefekten in Cherbourg verfasst, in dem sie vor der Inbetriebnahme des Reaktors warnen, er sei nicht sicher. Bis heute ist er nicht am Netz, einen neuen Starttermin gibt der Betrieber nicht mehr an. Der französische Rechnungshof veranschlagt die Kosten offiziell auf über 19 Milliarden Euro. An den französischen Atomreaktoren sehen wir, wie diese dahin bröckeln – und man kann nicht alle Problemstellen einsehen.

Wie wichtig war Atomkraft in Deutschland: Alle stromproduzierenden Anlagen, die ins deutsche Netz liefern, haben eine Gesamtleistung von 245 Gigawatt. Der maximale Strombedarf im November 2021 lag bei 82 Gigawatt, die Durchschnittsleistung liegt bei 61 Gigawatt. Die erneuerbaren Stromproduzenten haben eine Leistung von 91 Gigawatt und Atomkraft hatte 4 Gigawatt. Natürlich sind nicht alle Kraftwerke gleichzeitig am Netz und teilweise haben unsere Reservekraftwerke mehr Reserveleistung als der Maximalbedarf.

Im März 2023 lag die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen in Deutschland bei 55 Prozent, einem Wert, den Atomkraft nicht einmal im Traum erreicht hätte."

(Bergsträßer Anzeiger, 29.4.2023)

Wikipedia mehr zum Reaktor Flamanville 3: 

  • "Ende 2008 erklärte Areva, die Bauzeit verzögere sich bis 2013 und die Baukosten würden 4 Milliarden Euro betragen.[4]
  • In der Bilanz für das 1. Halbjahr 2010 schrieb EDF, der kommerzielle Betrieb werde für 2014 erwartet; die Kosten würden „ungefähr 5 Milliarden Euro“ betragen.[5]
  • Im Juli 2011 schätzte EDF die Kosten auf 6 Milliarden Euro und die Inbetriebnahme auf 2016.[6]

„Die Bau- und Planungskosten (79.751 Mio. € (für 2010)), heruntergerechnet auf die Reaktorleistung, stiegen mit der Zeit von 1,07 Mio. €/MW im Jahr 1978 (Fessenheim) auf 2,06 Mio. €/MW im Jahr 2000 (Chooz 1 und 2) bzw. auf 1,37 Mio. €/MW im Jahr 2002 (Civaux) bei einem Durchschnitt von 1,25 Mio. €/MW für die 58 Reaktoren. Diese Erhöhung steht vor allem mit den immer höheren Sicherheitsanforderungen in Zusammenhang. Auch wenn ein genauer Vergleich nicht möglich ist, da die abschließenden Gesamtkosten eines EPR unbekannt sind, konnte der französische Rechnungshof feststellen, dass die Baukosten im Verhältnis zur Leistung in MW mit dieser neuen Generation, die von Anfang an umfangreiche Sicherheitsauflagen erfüllen musste, weiter gestiegen sind. Bei geschätzten Baukosten von 6 Mrd. € für den EPR Flamanville (erster Reaktor der Baureihe) und einer Leistung von 1630 MW betragen die Kosten pro MW 3,7 Mio. €.“[8]

  • Anfang Dezember 2012 gab der italienische Konzern Enel EDF seinen 12,5-%-Anteil am EPR zurück, verlangte rund 613 Millionen Euro an Investitionen zurück und äußerte, der Reaktor werde wegen der hohen Investitionskosten nie wirtschaftlich sein. Kolportiert wurden Ende 2012 Stromgestehungskosten von circa 7–10 ct/kWh über die gesamte Betriebsdauer,[9] der Finanznachrichtendienst Bloomberg L.P. vermutete 7,2 ct/kWh.[10]
  • Im Dezember 2012 gab EDF bekannt, die Baukosten des EPR seien auf 8,5 Milliarden Euro gestiegen.[11]
  • Im November 2014 gab Areva bekannt, der EPR werde voraussichtlich 2017 in Betrieb gehen.[12][13]
  • Im April 2015 gab die Atomsicherheitsbehörde ASN bekannt, dass Areva über Anomalien im Stahl in bestimmten Bereichen des neuen Reaktordruckbehälters – im Boden und im Deckel – informierte.[14] Die französische Umweltministerin Ségolène Royal forderte den Hersteller Areva auf, Konsequenzen aus dem Problem zu ziehen.[15] ASN solle bis Oktober 2015 eine Studie zur Schwere der Materialfehler vorlegen.[16] Laut Pierre-Franck Chevet, dem Vorsitzenden der ASN, seien die Anomalien „sehr ernst“. Sie könnten zur Rissen führen. Sollten genauere Untersuchungen dies bestätigen, bestünde nur die Möglichkeit des Tauschs des gesamten Druckbehälters mit langjährigen Verzögerungen und noch höheren Kosten oder die Aufgabe des Kraftwerksprojektes. Neben Flamanville, dessen Kosten 2015 auf 9 Mrd. Euro beziffert wurden,[17] könne das Problem fünf weitere in Bau befindliche EPRs betreffen.[18] Im Juli 2015 wurde bekannt, dass der Stahl des Druckgefäßes, das später die Kernspaltung umschließen soll, nicht die erforderliche Festigkeit aufweise. Deshalb ordnete die französische Atomaufsicht ASN einen neuen Test an, bei denen ein baugleicher Reaktordeckel, der bisher für das geplante Kernkraftwerk Hinkley Point vorgesehen war, zerstört werden müsse.[19]
  • Im Juni 2015 wurden Funktionsschwierigkeiten bei Sicherheitsventilen bekannt.[20]
  • Im August 2015 gab EDF eine Kostensteigerung auf 10,5 Milliarden Euro bekannt. Strom werde nicht vor 2018 geliefert;[21] Im September 2015 verschob EDF den Termin erneut auf Ende 2018.
  • Im Juni 2017 teilte die ASN mit, der Druckbehälter genüge trotz seiner Schwachstellen den Sicherheitsanforderungen – bei geringerem Sicherheitsspielraum. Dies erfordere regelmäßige Prüfungen am Druckbehälter-Boden und den Tausch des Reaktordeckels im Jahre 2024.[22]
  • Im April 2018 teilte EDF mit, die im Februar berichteten Schweißnaht-Probleme seien schlimmer als erwartet. Im Laufe der Überprüfungen und der Lizenzierung durch die ASN werde EDF die Änderungen des Zeit- und Kostenrahmens mitteilen.[23]
  • Im Juli 2018 wurde die Beladung mit Brennstäben auf Ende 2019 festgesetzt. Die Kostenschätzung lag nunmehr bei 10,9 Milliarden Euro.[24] Die Stromgestehungskosten werden mit Stand 2019 auf mehr als 10 ct/kWh taxiert.[25]
  • Im Juni 2019 gab EDF bekannt, Schweißnaht-Reparaturen verlängern die Bauarbeiten bis Ende 2022.[26] Die Baukostenschätzung lag nun bei 12,4 Mrd. Euro. Die Inbetriebnahme wurde nun für 2023 erwartet.[27] Damit ginge das Kraftwerk 11 Jahre später in Betrieb als geplant – zu Kosten nahe dem Vierfachen der anfänglichen Planung.
  • Im März 2020 ersetzten Premierminister Edouard Philippe und Umweltministerin Elisabeth Borne laut der Satirezeitung Canard Enchaîné im Text des „Dekret 2007-534 vom 10. April 2007“ eine 13 durch 17, was sich auf die Frist in Jahren bis zur erstmaligen Beladung mit Kernbrennstoffen bezog. Beobachtern zufolge sei dies ein administrativer Trick, um den Bau fortzuführen, da das Dekret aus dem Jahre 2007 auszulaufen drohte. Verbände um Greenpeace und France Nature Environnement kündigten nach fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfungen Klagen an.[28]
  • Im Juli 2020 wurde ein Bericht publik, wonach sich die bis dato bekannten Gesamtkosten des Projektes von den bisher kommunizierten 12,4 Mrd. Euro um weitere 6,7 Mrd. auf dann ca. 19,1 Mrd. Euro erhöhen sollen. Rund zwei Drittel davon sind auf Zinszahlungen während der Bauzeit zurückzuführen, hinzu kommen Ausgaben zur Vorbereitung der Inbetriebnahme wie die Beschaffung von Ersatzteilen und Kernbrennstoff.[29] Dieser Bericht des französischen Rechnungshofes zum EPR schätzte die Gestehungskosten für elektrische Energie bei Block 3 des KKW Flamanville auf 11 ct/kWh (110 €/MWh) bis 12 ct/kWh (120 €/MWh).[30]
  • Im Januar 2022 wurde berichtet, dass die geplante Inbetriebnahme von Ende 2022 auf das zweite Quartal 2023 verschoben werde. Die Kosten würden um 0,3 Milliarden auf 12,7 Milliarden Euro steigen.[31][32][33]
  • Mitte Juli 2022 wurde öffentlich bekannt, dass ein Teil der installierten Reaktorsteuerung nicht funktioniert. EdF weiß seit 2019 von dem Problem.[34]
  • Im Dezember 2022 wurde bekannt, dass die Mehrkosten auf 10 Milliarden und die Gesamtkosten damit auf voraussichtlich 13,2 Milliarden ohne Finanzierungskosten von rund 5 Milliarden € steigen. Die Befüllung mit Brennstäben ist jetzt für das erste Quartal 2024 geplant.[35]"

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